Locken, fliegende, trug ich

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Locken, fliegende, trug ich, die wie Ranken
  Mich umschatteten um die Schläfe wallend,
  Und sie waren zu eigen einem Weibe,
  Das sie segnet', als ich von ihr den Abschied
  Nahm, und ließ mich versprechen, ungeschoren
  Sie zu tragen für sie. Die Locken ließ ich
  Scheren, treulos, und gab mich einer andern.
  Und die liebte hindurch den kahlen Winter
  Mich unlockigen gleich den andern Bäumen.
  Als der Frühling gekommen, und der Bäume
  Haupt sich wieder belaubte, ging mir's eigen.
  Unter'm spielenden Finger der Geliebten,
  Wie von Rührungen linder Lenzeslüste,
  Wuchsen neu um die Schläfe mir die Locken,
  Still mit ihnen erwuchs das Angedenken
  An die vorige, der sie einst gehörten.
  Und es war mir alsob sie aus der Ferne
  Mit dem Arme nach ihrem Eigenthume
  Griff' herüber und zöge, doch so stark nicht
  Wie die Ruhe, die, ein Verdächtchen schöpfend
  Von dem Zug aus der Fern', entschlofsen krampfhaft
  Sich anklammert', und hält mich fest gewaltig.