Und hast du nicht, was du mir schworst

                                          101.

Und hast du nicht, was du mir schworst vergessen in der Nacht?
  Und was ich schwor, vergaßest du nicht dessen in der Nacht?
  Nicht ging das Licht der Liebe mir im nächt'gen Dunkel aus;
  Die Sonne losch, die Kerze wacht indessen in der Nacht.
  Mir ging dein süßes Angesicht verloren mit dem Tag;
  Doch hab' ich deiner Blicke Traum besessen in der Nacht.
  Mich führt ein Traum an einer Hand und an der andern du,
  Mit euch hab' ich des Himmels Raum durchmessen in der Nacht.
  Du läeheltest ein Paradies, es glommen von dem Strahl
  Auf meinen Wangen rosig an die Blässen in der Nacht
  Du hauchtest eine Frühlingslust sie küßte, wie den Thau
  Von Knospen, mir vom Auge weg die Nässen in der Nacht.
  Drum, wann ich einst zu längerm Traum gegangen werde sein
  Hinunter in die schweigenden Cypressen in der Nacht;
  Wie deine Lieb' im kurzen Traum ich hier an's Herz gepreßt,
  Werd' ich an's Herz im längern dort sie pressen in der Nacht;
  Und weckst du mich mit Morgenroth, und fragst: vergaßest du?
  So lächl' ich: Freimund hat dich nicht vergessen in der Nacht.