Auf den Promenaden sang

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Auf den Promenaden sang
  Heut die Nachtigall:
  Schöne Welt im Müssiggang,
  Hörst du meinen Schall?
Von der Stadt, vom Markte her,
  Dringet ein Gebraus;
  Was ich singe, hört sich schwer
  Aus dem Lärm heraus.
Rasseln die Karossen nicht
  Straßen aus und ein?
  Und die Wachtparade bricht
  Mit den Wirbeln drein.
Edle Herrn und edle Frau'n,
  Die ihr hier so zieht,
  Seht ihr auch die Frühlingsau'n,
  Hört ihr auch mein Lied?
Denkt ihr noch an einen Ball,
  Oder schon daran,
  Wo man nicht zu meinem Schall
  Polisch tanzen kann?
Habt die neuste Mod' ihr an,
  Die ihr zeigt der Welt?
  Oder hat's zuvor gethan
  Euch ein andrer Held?
Ließ euch eure Dam' im Stich
  An der Pharobank?
  Ihr seht drein so feierlich!
  Ist die Fürstin krank?
Spukt das neuste Stadtgeschwätz
  Noch in euerm Hirn?
  Oder Frankreichs Wahlgesetz,
  Kraust es euch die Stirn?
Lus't ihr eben, liebe Herrn,
  Zeitungen vielleicht?
  Das genügt dem Abendstern,
  Daß er gleich erbleicht.
Seid ihr etwa gar gelehrt?
  Oder halbweg nur?
  Hat die Zeitung euch verheert
  Der Literatur?
Nagt am Conversations-
  Lexikon ihr noch?
  Bin ich dieses Lexikons
  Kein Artikel doch!
Laset ihr am Morgenblatt
  Trocken euch und taub,
  Daß für euch am Abend hat
  Reiz kein grünes Laub?
Speis'tet ihr Romane nicht
  Diesen Vormittag?
  Dieser Zauber macht zunicht
  Nachtigallenschlag.
Blanke Ritter, Geisterspuk,
  Hexen, zarte Frau'n
  Ach das ist ein andrer Schmuck,
  Als was hier zu schau'n.
Gegen Nordlands Reckenmacht,
  Heklas Schwefeldampf,
  Kann ein Hauch der Frühlingsnacht
  Nicht bestehn den Kampf.
Und so tragt ihr euern Wust
  In dem Haupt herum,
  Und es ist die Frühlingslust
  Euern Ohren stumm.
Und mich hört' die Ros' allein,
  Ach und die ist heut
  Von des Ostwinds Schmeichelein
  Leider auch zerstreut.