97.
Auf den Promenaden sang
Heut die Nachtigall:
Schöne Welt im Müssiggang,
Hörst du meinen Schall?
Von der Stadt, vom Markte her,
Dringet ein Gebraus;
Was ich singe, hört sich schwer
Aus dem Lärm heraus.
Rasseln die Karossen nicht
Straßen aus und ein?
Und die Wachtparade bricht
Mit den Wirbeln drein.
Edle Herrn und edle Frau'n,
Die ihr hier so zieht,
Seht ihr auch die Frühlingsau'n,
Hört ihr auch mein Lied?
Denkt ihr noch an einen Ball,
Oder schon daran,
Wo man nicht zu meinem Schall
Polisch tanzen kann?
Habt die neuste Mod' ihr an,
Die ihr zeigt der Welt?
Oder hat's zuvor gethan
Euch ein andrer Held?
Ließ euch eure Dam' im Stich
An der Pharobank?
Ihr seht drein so feierlich!
Ist die Fürstin krank?
Spukt das neuste Stadtgeschwätz
Noch in euerm Hirn?
Oder Frankreichs Wahlgesetz,
Kraust es euch die Stirn?
Lus't ihr eben, liebe Herrn,
Zeitungen vielleicht?
Das genügt dem Abendstern,
Daß er gleich erbleicht.
Seid ihr etwa gar gelehrt?
Oder halbweg nur?
Hat die Zeitung euch verheert
Der Literatur?
Nagt am Conversations-
Lexikon ihr noch?
Bin ich dieses Lexikons
Kein Artikel doch!
Laset ihr am Morgenblatt
Trocken euch und taub,
Daß für euch am Abend hat
Reiz kein grünes Laub?
Speis'tet ihr Romane nicht
Diesen Vormittag?
Dieser Zauber macht zunicht
Nachtigallenschlag.
Blanke Ritter, Geisterspuk,
Hexen, zarte Frau'n
Ach das ist ein andrer Schmuck,
Als was hier zu schau'n.
Gegen Nordlands Reckenmacht,
Heklas Schwefeldampf,
Kann ein Hauch der Frühlingsnacht
Nicht bestehn den Kampf.
Und so tragt ihr euern Wust
In dem Haupt herum,
Und es ist die Frühlingslust
Euern Ohren stumm.
Und mich hört' die Ros' allein,
Ach und die ist heut
Von des Ostwinds Schmeichelein
Leider auch zerstreut.