Der Brief an die Mutter.

 Liebes Weib, von deinen Knaben,
  Die du mit mir ausgesendet,
  Wirst du wollen Nachricht haben,
  Wie sich unsre Fahrt gewendet.
 Morgens mehr als um ein Stündchen
  Kam zu spät bestellt der Haudrer;
  Und du weiß, wie unsre Mündchen
  Alle schimpften auf den Zaudrer.
 Aber als die Zaudereien
  Endlich waren überwunden
  Und mit ihren Plaudereien
  All’ im Wagen Platz gefunden,
 Und der Wagen lief vom Stapel,
  Da war bald, Gott sei’s gedankt,
  Hinter uns die Straßenpappel,
  Welche keine Reb’ umrankt.
 Und bereits mit Freudezittern
  Kind’scher Ungeduld begannen
  Sie von fern das Land zu wittern,
  Wo man Süßmost trinkt aus Kannen.
 Da erkannt' ich erst mit Stolz
  Mich in meinen Söhnen wieder;
  Auch bei mir wog jedes Holz
  Schon als Kind der Rebstock nieder.
 Und schon droben zwischen Felsen,
  Die sich krönen mit Wachholdern
  Sahen mit gereckten Hälsen
  Sie sich um nach Traubentoldern.
 Und sie sahn, wonach sie sehnlich
  Umgesehn, die ersten Ranken,
  Doch noch mehr Schlehhecken ähnlich,
  Nah bei Königsberg in Franken.
 Diesen galts vorbei zu streichen
  Spornstreichs, wenn bei Sonnenschein
  Wir noch wollten Berg' erreichen,
  Wo erst wirklich wächst ein Wein.
 Bis wir doch, rasch umzuspannen,
  Mittags ein in Hofheim kehrten,
  Und statt Süßmost in den Kannen
  Sauern Firnewein begehrten.
 Aber nicht von deinem Manne,
  Von den Knaben ausgeleert,
  Ward auf einen Zug die Kanne,
  Als den Rücken ich gekehrt.
 Und zwar thats dein frommer Gustel,
  Der sonst nicht ein Glas kann leeren.
  Treiben soll's ihm keine Pustel,
  Denn er thats dem Herbst zu Ehren.
 Aber nun mit raschem Brausen
  Frischer Pferde ging's bergan,
  Bergab hin um Humprechtshausen,
  Wieder bergauf im Orkan.
 Unser Fahren war kein Scherz;
  Und wir fanden sonnenscheinig
  Kreuzthal noch und Löffelsterz,
  Und den Abhang schroff und steinig,
 Der dir schrecklich schien vor allen
  Für die Dein'gen voll Gefahren,
  Wenn von früher Nacht befallen
  Wir ihn sollten niederfahren,
 Was ich auch nicht läugnen mag.
  Hat doch hier vor wenig Wochen
  Ein Kauffahrer selbst am Tag
  Stürzend Hals und Bein gebrochen.
 Und wir selbst vor wenig Jahren
  Sind den Berg hinabgekrochen
  Mehr als ihn hinabgefahren,
  In der Nacht, mit Herzenspochen;
 Dankbar, als wir unten waren,
  Daß von allen kleinen Knochen
  Unsrer damals zartern Schaaren
  Keiner war entzwei gebrochen.
 Heute sprangen sie hinein,
  Brechend langen Sitzens Fessel,
  Droben aus dem Sonnenschein
  In des Thals schon dunkeln Kessel.
 Doch auch hier an steilen Wänden
  hing noch Glanz vom Horizonte,
  Daß mit ausgereckten Händen
  Ich ihn fast ergreifen konnte.
 Und zurück ins Wanderhäuschen,
  Wo's uns einholt', eilig schlüpfend,
  Fuhren unsre stillen Mäuschen,
  Mit den Herzchen lebhaft hüpfend,
 Die's nun kaum erwarten konnten,
  Bei den letzten Wohnungen
  Zu erblicken den besonnten
  Strom am Thor von Schonungen.
 Strom des Mains, an welchem meine
  Wiege stand im Rebenkranz,
  Zwar nicht mehr im Sonnenscheine
  Strahlt er, doch im Abendglanz.
 Und die Sonne selbst noch winket
  Dir im Scheiden einen Gruß,
  Mainberg, dessen Zinne blinket
  Golden überm Silberfluß.
 Wenn nicht diese Berge wären,
  Wäre nicht der Fluß so schön;
  Und nur weil sie sich verklären
  In dem Fluß, sind schön die Höh'n.
 Weil sich mit dem Main der Weinberg,
  Mit dem Weinberg schmückt der Main,
  Darum heißt die Stelle Mainberg,
  Schönster Berg- und Stromverein.
 Ob erhoben seinen Steinwein
  Würzburg über'n Rheinwein hat,
  Mir gewürzter wächst der Mainwein
  Zwischen Mainberg und der Stadt,
 Deren Mühlen, deren Brücken
  Lieblich dort am Strome dämmern.
  Willst du mir den Einzug schmücken,
  Stadt, nicht zubenannt von Lämmern?
 Das du scheinest von des Frischlings
  Mutter zubenannt, mein Schweinfurt,
  Ist die Schuld des falsehen Zischlings,
  Ohne den du hießest Weinfurt.
 Dir zu hohem Troste dien' es,
  Daß du theilst Athens Geschick,
  Das verdorben heißt Setines
  Durch ein ähnlichs Angeflick.
 Und so mit Athenes Waffen,
  Unter deines Königs Schutz,
  Hast du hier ein Werk geschaffen,
  Aller Welt und mir zu Nutz:
 Diese Kunststraß', hier dem Strom,
  Dort dem Weinberg abgewonnen,
  Wo im Zwielicht wie ein Dom
  Ragend steht der Ludwigsbronnen.
 Wo ein Wagen sonst mit Noth
  Auswich einem andern Wagen,
  Den nur hielt der zähe Koth
  Nicht in's Wasser umzuschlagen;
 Und doch umschlug oft bei Nacht
  Die geladne Beerenkufe,
  Wenn die Pferde scheu gemacht
  Feuerrad und Herbstluftrufe;
 Da nun kann man sorglos reisen,
  Da nun können Herbstkomödien
  Sicher gehn in breiten Gleisen,
  Nicht umschlagend in Tragödien.
 Wie vom Glanz des Wonnenmondes
  Abendröthlich überglommen,
  Berge, zu des Tonnenmondes
  Feier heißt ihr mich willkommen.
 Du Oktober, der du Weinmond
  Warst geheißen oder Jagdmond,
  Bist in Luft itzt Sonnenscheinmond,
  Und auf grüner Flur Smaragdmond.
 Und so rollt' in patriotischen
  Fantasien mein Wagen weiter,
  Als mich weckten mit böotischen
  Lustausbrüchen die Begleiter.
 Wie sie hatten die romantischen
  Traubenhügel vor den Nasen,
  Fielen sie mir in bacchantischen
  Taumel, und es gab ein Rasen.
 Von den Sitzen auf den Bock
  Wollten sie und aus dem Schlage,
  Und dem ersten Rebenstock
  Liefern eine Niederlage.
 Orpheus von den Edoniden
  Ward zerrissen in der Wuth;
  Doch den heil'gen Sängerfrieden
  Hielt mir aufrecht kaltes Blut.
 Leise zog ich einen Handwisch
  Ueber's Antlitz jedem Wicht:
  „Seht ihr,“ rief ich, „dort den Pfandwisch
  Der da Beerruth' heißet, nicht?
„Jeden, der sich läßt in Händen
  Mit geraubter Traub' erwischen,
  Drohet dieser Wisch zu pfänden,
  Und mit Streichen zu erfrischen.
„Und der Mann dort, der so pfeift,
  Hält in Hut die edlen Güter.
  Wo die erste Traube reift,
  Gleich am Platz ist Ruth' und Hüter.“
 Von der Beerruth und der Beerhut
  Hörten sie mit Mißbehagen,
  Und verfielen ganz in Schwermuth;
  Sie zu trösten mußt' ich sagen:
„Die zu euerm Unbelieben
  Vor euch hüten die Spaliere,
  Hüten auch für euch vor Dieben
  Euerer Großmutter ihre.
„Also wird die Welt regiert,
  Dem Besitzenden zu Frommen:
  Daß, wer hat, es nicht verliert,
  Darf, wer nichts hat, nichts bekommen.
„Und ihr werdet selbst die Frucht
  Schmecken dieser guten Sitte,
  Wenn von ihres Weinbergs Zucht
  Euch entgegen zum Eintritte
„Tantchen trägt die volle Schüssel,
  Die ein andrer weggeschnappt
  Würde haben euerm Rüssel,
  Wär die Beerruth' hier gekappt.
„Schon gemacht ist die Bestellung
  Gastlichen Emfangs zuvor;
  Und nun aus der letzten Hellung
  Rollen wir durchs dunkle Thor
„Dieser Stadt, wo Tag und Nacht
  Wach ist ein geschäft'ges Regen,
  Das lebhafter ihr erwacht
  Naher Traubenles' entgegen;
„Und wo Niemand müßig ist,
  Als die mürrischen Gesichts
  Hier im Thor zu jeder Frist
  Sitzt, die Eul', und thut sonst nichts.
„Sie nicht könnt ihr an der Mauer
  Sehn bei'm Mangel jetzt des Lichts;
  Wenn man sie auf ihrer Lauer
  Fragt: was machst du? sagt sie Nichts.“
 Und wie ich in meinen Tagen
  Oft die Eule fragt' als Kind,
  Dacht' ich auch sie sollten fragen;
  Doch die Welt ist nicht mehr blind.
 Einer wollte des Berichts
  Möglichkeit mit Ernst bestreiten;
  Einer lächelnden Gesichts
  Sprach: Der Vater scherzt zu Zeiten.
 Doch die Wahrheit des Gedichts
  Wollte gar dem dritten tagen:
  Freilich sagt die Eule Nichts,
  Weil die Eulen nie was sagen.
 Und der vierte nur allein,
  Dessen Augen Dichtkunst funkeln,
  Hätte wol gefragt den Stein,
  Hätt' er ihn gesehn im Dunkeln.
 Aus dem Dunkel nun in's Licht,
  Zwar ein schwaches, in den Straßen
  Eingefahren, mein Gesicht
  Strengt' ich an verdientermaßen,
 Zu erspähen, ob die Fahne
  Sei des Herbstes aufgesteckt
  Vor des Rathhausthurms Altane;
  Und als ich dort nichts entdeckt,
 Zweifelt' ich in meinem Muthe,
  Ob der Herbst noch sei im Weiten,
  Oder abgestellt der gute
  Brauch aus alten Reichsstadtzeiten.
 Als wir gleich ins Gäßlein bogen,
  Wo nun wohnen unsre Lieben,
  Aus dem großen ausgezogen,
  In das klein're Haus getrieben,
 Das die Buben noch nicht kannten;
  Nun begannen sie zu streiten,
  Wohnen sollten die Verwandten
  Jedem an des Wagens Seiten,
 Wo der Bengel eben sitzt,
  Um zuerst hinaus zu springen.
  Meine Blicke ließ ich itzt
  Nach dem Wetterengel dringen.
 Und er ist nicht gut gelaunet
  (Seh' ich noch beim letzten Schein),
  Weil er aus der Stadt posaunet,
  Und sein Hintres kehrt hinein.
 Desto hellere Gesichter
  Treten dort zur Thür heraus;
  Angezündet sind die Lichter,
  Und die Gäste sind zu Haus,
 Und die Trauben auf dem Tische
  Stehen auch, wie ich's versprochen,
  Und kein Winkel, keine Nische
  Bleibt den Buben undurchkrochen.
 Sie ergreifen am Haushalte
  Ihren Mitbesitz sogleich;
  Mehr gefällt er als der alte;
  Immer ist die Jugend reich.
 Sie erfreuen sich am Essen,
  Und den lebenden Verwandten;
  Der Großvater ist vergessen,
  Den so gut als mich sie kannten.
 Wie die Linde vor dem Thor,
  Die der Sturm von neulich brach;
  Leer ist's, wo sie stand zuvor,
  Aber Niemand fragt danach.
 Doch Großmutter spricht: Wie schade,
  Ihr versäumtet heut das Beste,
  Unsrer Stadtmiliz Parade
  Morgen zu dem Namensfeste.
 Die vorwitz'gen Enkel sagen:
  Ei, wir machen unsre Reisen
  Nicht nach hohen Namenstagen,
  Sondern Trauben hier zu speisen.
 Doch sie saget: Larifari!
  Heut entginget ihr den Becken,
  Doch mit ihrem Schariwari
  Werden sie euch morgen wecken.
 Drum zu Bett, und zaudert nicht,
  Weil noch auf der Vater bleibt,
  Der, ich seh's ihm am Gesicht,
  Diesen Brief der Mutter srhreibt.

Anmerkungen

Setines
Im Jahre 1456 eroberte Sultan Mehmed II. Athen [Setines] siehe auch Wikipedia