Wechstlbedürfniß

In der Kette menschlichen Vereines
 Ein nothwendig Glied ist jeder Stand.
 Von den Gliedern darfst du brechen keines,
 Oder du zerbrichst das ganze Band.
Nicht der Arme nur bedarf des Reichen,
 Auch der Reiche des Bedürftigen,
 Nicht der Diener nur des Herrn, desgleichen
 Auch der Herr des Unterwürfigen.
Die Sonne stände nicht im Mittelpunkte,
 Wenn die Planeten nicht im Kreise stünden.
 Was hälf es ihr, daß sie mit Strahlen prunkte
 Wenn sich daran kein Leben wollt' entzünden?
Ist das Kind um der Mutter willen,
 Oder die Mutter da für's Kind?
 Sie fragen es nicht, sie fühlen im Stillen,
 Daß sie beide für einander sind.
Die Quelle bot ihre Fluthen preis,
 Und lockte der Blumen Begierde;
 Sie stellten sich um die Quell' im Kreis,
 Und dienten ihr so zu Zierde.
Also sprach die Myrthe zur Zypresse:
 Ständ' ich nicht am Boden hier,
 Hättest du, woran dein Stolz sich messe,
 Nicht den Maßstab neben dir.
Und wäre nicht mein Mangel gesandt
 Zur Hülfe der Füll' in deinen Händen.
 So müßtest du mit der vollen Hand
 Des Glücks entbehren, Glück zu spenden.