Die beiden Strahlen.

               1833.

Ich stand auf weiter schneebeglänzter Fläche;
  Erkaltet war das Feuer der Natur,
  Und eingefroren alle Schöpfungsbäche.
Auf Erden war von Leben keine Spur,
  Und einsam blühten wie zwei Frühlingsdolden
  Am Himmel die zwei großen Lichter nur.
Die Sonne hing am Saum des Westen golden,
  Und silbern hob sich von des Osten Rand
  Der Mond, und ich stand zwischen beiden holden.
Hersendet' ihren Strahl zur rechten Hand
  Die Sonne, wie der Mond zur linken seinen,
  Und ich dazwischen war die Scheidewand.
Die Strahlen aber wollten sich vereinen;
  Von beiden Seiten stürmten sie den Wall,
  Es schien, sie wollten durchaus mich durchscheinen.
Mein Herz ward ein durchsichtiger Krystall,
  An dem sie spielend ihre Lust nun büßten,
  Weil unzugänglich war der Erdenball.
Als zum Willkommen sie zuerst sich grüßten,
  Ergoß sich durch die Brust ein holder Glanz,
  Ein süßer Ton sodann als sie sich küßten.
Und wie sie nun sich faßten an zum Tanz,
  Erwachten alle schlummernden Gefühle,
  Und woben um sie einen Frühlingskranz
Da kochte Duft des Sonnenstrahles Schwüle
  Aus allen Blüthen, bis sie waren matt,
  Dann labte sie mit Thau des Mondstrahls Kühle.
Der Sonnenstrahl sprach: Und wenn keine Statt
  Mir auf der Welt bleibt, mag sie Frost umbauen!
  In diesem Garten zieh' ich Blüth' und Blatt.
Der Mondenstrahl: Und wenn aus allen Auen
  Der Winterteif des Todes starren mag,
  Auf diese Blüthen will ich Nektar thauen.
Der Sonnenstrahl: Stets soll in diesem Hag,
  Was Licht bedarf, sich durch mein Licht erschließen,
  Ein immer winterlanger Frühlingstag.
Der Mondstrahl: Und was aber nicht will sprießen
  Im grellen Lichte, sondern duftger Nacht,
  Auf das will ich die feuchten Dämmer gießen.
Die beiden Strahlen: Mit vereinter Macht
  In unserm Reiche weben wir und walten;
  Und was wir tief im Herzen angefacht,
  Wird glänzend einst sich durch die Welt entfalten.