Der ostindische Vogel.

In Ostindien lebt ein Vogel,
  Der, gefangen oder frei,
  Nie verleugnet, wie gewogen
  Er dem bunten Schimmer sei.
In der Freiheit sein Gefieder
  Schimmert hell um Hals und Schwanz,
  Und er läßt es aus und nieder
  Schimmern in der Sonne Glanz.
Vom Verliebten eingefangen,
  Lernet er die Kunst geschwind,
  Zu entwenden was mit Prangen
  Schimmert am geliebten Kind.
Von der Stirn' ein goldnes Plättchen,
  Einen Ohrring aus dem Ohr,
  Von der Brust ein Busenkettchen
  Raubt er ihr, die's gern verlor.
Denn sie weiß, für wen er's raubet,
  Und sie weiß, wohin er's trägt,
  Und sie hat den Raub erlaubet,
  Der den Herrn in Fessel schlägt.
Wenn der Diener mit Behagen
  Manches schimmerreiche Pfand
  Hat von ihr zu ihm getragen,
  Wird daraus ein festes Band.
Wenn nicht mehr der Liebesbote
  Noth ist dem vereinten Paar,
  Wird zum letzten Botenbrote
  Abschied ihm und freies Jahr.
Sie im schimmerhellen Zimmer
  Kosen itzt und küssen nur,
  Aber er in seinem Schimmer
  Wiegt sich wieder aus der Flur.
Doch es ist ihm nichts geschwunden,
  Was er einst im Dienst geschaut.
  Wie die Herrschaft sich gefunden,
  Sucht der Diener auch die Braut.
Um ihr bräutliches Geschmeide
  Buhlet er im Liebestanz;
  Ach, ihr webt und stickt am Kleide
  Morgenroth und Sonnenglanz.
Keinen Ring und keine Kette
  Raubt er seinem Vogelweib;
  Doch sie rauft zum Hochzeitbette
  Bunten Flaum sich aus dem Leib.
Mit sich selber tapezieret
  Schon die Gattin das Gemach,
  Weil der Gatte noch hantieret
  Außen an des Hauses Dach;
Das aus seinstem Perlengrase
  An den schlanksten Zweig er klebt,
  Wo es wie des Mondes Fase
  Am Balkon des Himmels schwebt,
Ueber eines Bach's Krystallen,
  Die der Strahl der Sonne schleift,
  Wo der Morgenthau in allen
  Blumenkelchen Perlen reift.
Mit Rubinen und Smaragden
  Deckt und dielt es Blüth' und Laub,
  Und von Schmetterlingesjagden
  Stäubet Gold- und Silberstaub.
O wie wohnt der freigelass'ne
  Diener auf dem Frühlingsast
  Glänzender als die verlass'ne
  Herrschaft in dem Prunkpalast!
Ja, so lang' die Sonne funkelt,
  Sieht er nichts von Glanz was fehlt;
  Aber wenn der Abend duntelt,
  Hat er eins sich nicht verhehlt:
Eines kann er nicht verschmerzen,
  Wie er sonst um diese Zeit
  Leuchten sah im Schein der Kerzen
  Seiner Herrschaft Herrlichkeit.
Wie dort mit geborgtem Schimmer
  Lacht die Nacht in Pracht durchwacht,
  Hätt er auch in seinem Zimmer
  Gern verbracht die Liebesnacht.
Und mit seinen klugen Augen
  Blickt er in die Nacht hinaus,
  Welch ein Sternchen möchte taugen
  Zur Erleuchtung seinem Haus.
Und er sieht durch's Gras, das feuchte,
  Wie des Glühwurms Phosphor glimmt,
  Und der scheint zur Liebesleuchte
  Ihm von der Natur bestimmt.
Solch ein Würmchen fein lebendig
  Holt er jede Nacht, und klebt
  Es an seine Wand inwendig,
  Wo es leuchtet weil es lebt.
Denn der Vogel wohlverständig
  Weiß als ein erfahrner Mann,
  Daß ein Würmchen muß lebendig
  Sein, damit es leuchten kann.
Aber wann im Herrenhause
  Morgens aus die Kerzen gehn,
  Dienet ihm zum Morgenschmausse,
  Was ihm Nachts gedient zum Sehn.
Heller schimmert Sein Gefieder
  In der Frühsonn', und ihm bricht
  Phosphorirend dUrch die Glieder
  Das verzehrte Liebeslicht.