Der leere Käfig.

War's die Schwalbe, die am Giebel bauet?
  War's der Fink', auf meinem Baume brütend?
  War's der Rothfchwanz, heckend in der Mauer?
  Oder war's, her über Zaun und Mauer,
  Draußen nistend im Gefild, die Lerche?
  Rein! die Lerch' hätt' höher es getrillert,
  Und der Rothschwanz feiner es gewirbelt,
  Gellender hätt' es gepinkt der Finke,
  Und die Schwalb' es lispelnder gezwitschert
  Nicht die Schwalbe noch der Finke war es,
  Nicht der Rothschwanz, noch die Lerche, sondern
  Der Kanarienvogel aus dem Käfig,
  Aus dem leeren Käfig, der dort hänget
  Noch zum Angedenken an den Vogel,
  Der daraus entflogen längst, gezogen
  hin, wohin Kanarienvögel sterbend
  Hingehn nach elysischen Hainen, oder
  Nach kanarischein Zuckerfeld; von wannen
  Auf den Schwingen meiner Morgenträume
  Nun sein Geift zurückkehrt, mich zu mahnen,
  Mit der Stimme, die er lebend hatte,
  Mit dem Schlage, der in meines innern
  Ohr's Erinnrung lebt, an jene Tage,
  Wo er mir zuerst in's Haus gezogen,
  Einer sinn'gen Freundin Hochzeitgabe,
  Anzusingen, Sänger, Glück dem Sänger,
  Theil zu nehmen an den Zuckerbröckchen,
  Die wir in den Flitterwochen aßen.
  Aber ungleich war das Loos der Sänger.
  Schnäbeln sah er sich die Neuvermählten,
  Und er nagt' an seinem harten Zucker;
  In das weiche Nest sah er uns schlüpfen,
  Und er saß auf seinem kahlen Stänglein.
  Junge Brut im Neste sah er wimmeln,
  Hört' ihr Piepen, und sein Lied blieb einsam,
  Aber munter und vergnügt, und niemals
  Unbescheiden schrie er wach die Mutter,
  Früh wann sie die Kindlein schlafen ließen.
  Niemals ist er gelb vor Neid geworden,
  Sondern gelb geboren war er, glänzend
  Rein citronengelb am ganzen Leibe,
  Nur mit sanftem Grau gestreift die Flügel.
  Und solang die Kinder und die Wirthschaft
  Das Klavier verstimmt nicht hatten, pflegt' er
  Gern das Spiel der Hausfrau zu begleiten.
  Als der Kinder Lärm nunüberlaut ward,
  Wußt' er noch sich wacker durchzuschreien,
  Besser als die Musen ihres Vaters,
  Schmetternd manchmal Stille zu gebieten,
  Besser als die Ruthen ihres Vaters.
  Aber manches ließ er sich auch bieten,
  An dem Hause durften sie ihm schaukeln,
  Seinen Trank und feinen Hanf verschütten,
  Ihn mit vorgehaltnem Finger reizen,
  Daß er bisse; nie biß er bedeutend.
  Statt des Hühnerdarmes, den er gern aß
  Als Salat, ward ihm gebracht manch Unkraut,
  Blumen, die er nicht genießen konnte.
  Ueberhaupt unregelmäßig wurde
  Seine Fütterung, seit ihre Kleinen
  Selbst die Mutter füttern mußt', und ihren
  Größern übergab die Futterschachtel;
  Aber Hungers ist er nicht gestorben.
  Selber wollten sie ihn auch vermählen;
  Einen Bastard, einen halben Hänfling,
  Einen hergeslognen Vagabunden,
  Führten sie ihm zu als Braut; zum Unglück
  War es nur ein Männchen, und zum Männchen
  War er selber sich genug. Da biß er
  Aus dem eignen Hause, das er nutzlos
  Sich verengt sah, den Eindringling wieder,
  Lebte fort als Hagestolz bequemlich.
  Oft auch ließen sie sein Thürchen offen,
  Doch nicht oft benutzt' er's zu entwischen
  Dreimal nur Versucht' er es und dreimal
  Reut' es ihn, und dreimal kam er wieder.
  Einmal bracht' er's bis zum offnen Fenster,
  Doch von außen wehten rauhe Lüfte,
  Die den Zarten in das Stübchen scheuchten.
  Einmal, in den Garten selbst sich wagend,
  Flog er dort ein Weilchen mit den Spatzen,
  Die zudringlich gleich sich ihm gesellten.
  Doch, unwürdiger Gesellschaft müde,
  Sucht' er bald die stille Zelle wieder
  Und die Menschen, die ihm lieber waren.
  Und zum drittenmal war's unfreiwillig
  Daß er ging; der Tod kam ihn zu holen.
  Abends war er singend eingeschlafen,
  Morgens hing er, unter sich das Köpfchen,
  An der Stang', auf der er sonst gesessen,
  Angeklammert mit den langen Zehen,
  Die in der Gefangenschaft gewachsen.
  Und begraben hat man ihn im Garten,
  Nicht in dem, aus dem er einst zurückkam
  Denn mit der Familie war ihr treuer
  Unzertrennlicher Gesährt' inzwischen
  Ausgewandert aus dem ersten Wohnplatz
  Ueber Fluß und Thal zum fernen zweiten,
  Der anstatt in einem Herzogthume
  (Frühling thaue seine Rosenauen!)
  Nun in einem großen Königreich ist;
  Wo er wieder Freud' und Leid zu theilen
  Fand mit uns, und einen kleinern Garten,
  Wo er liegt begraben unter Rosen.
  Und nun kehrt er aus dem Grab noch wieder,
  Füllend mit Gesang den leeren Käfig,
  Freuend sich des leeren, daß gegeben
  Kein Nachfolger ward von uns dem Hausfreund
  Und sein Haus im Haus die alte Stelle
  Noch behauptet, unhinweggeräumet.
  Aus Nachlässigkeit nicht ward's vergessen
  Es hinweg zu räumen; wohlbeflissen
  Ließ ich's hängen, daß mich's täglich mahnte
  An den ausgezogenen Bewohner,
  Den vorausgeflognen Kunstgenossen,
  Der im bunten Wechselgang des Lebens,
  Mit Gesang mich zu Gesang ermunternd,
  Mich soweit begleitet eine Strecke,
  Als die ihm gemessne Spanne reichte;
  Daß dem nun verstummten ich mit einem
  Lied bezeugte, was er mir gewesen,
  Daß er deß sich rühmt' und Ehre fände
  Drüben unter Paradiesesvögeln.
  Lang verschob ich's, heut ist es gelungen,
  Weib, nun räum' hinweg den leeren Käfig!