Ode

Brünstige Nachtigall,
  Die du aus schwangerer Seele
  Deinen Sohn, den Schall,
  Gebierst, o Liederkehle!
  Deine Lieder sind schön,
  Wenn ihr schwellend Getön,
  Ein in Liebe getauchet,
  Um sich Liebe verhauchet:
Ich beneide sie nicht;
  Denn mit anderen Zungen
  Soll mein ernstes Gedicht
  Reden, höher entschwungen.
  Denn die Lieb' ist wohl gut,
  Wenn zu zweien sie ruht,
  Unter'm Dache der Myrten,
  Die Hirtin bei dem Hirten:
Edeler ist ein Band,
  Welches viele umschlinget,
  Wenn ein geistiger Brand
  Tausend Herzen durchdringet;
  Wenn in einen Leib,
  Gleich wie Mann und Weib,
  Unter der Eintracht Schatten
  Ganze Völker sich gatten.
D'rum segn' ich mein Geschick,
  Daß es nicht hat in Wehen
  Mir geschlossen den Blick,
  Bevor ich solches gesehen;
  Daß ich ohne Neid
  Darf mustern jegliche Zeit,
  Weil in hellestem Scheine
  Vor jeder strahlt die meine.
Denn Deutschlands Völkerstamm
  War groß von Anbeginne.
  Erst der Freiheit Damm,
  Dann der Herrschaft Zinne;
  Endlich durch Himmelsgunst
  Zum Gipfel jeglicher Kunst
  Ist es empor gestiegen,
  Um auch durch Geist zu siegen.
Aber wenn der Geist
  Seine Schwingen entfaltet,
  Sinkt der Leib zumeist
  Nieder, und erkaltet.
  Derweil mein Volk mit Fleiß
  Alles erkennt und weiß,
  Hat es eines vergessen,
  Was es hätte sollen ermessen:
Daß ein Volk es ist!
  Daher ist es gekommen,
  Daß in kürzester Frist
  Der Fremde die Macht genommen:
  Die Glieder und das Haupt
  Waren einander geraubt;
  So konnte das nicht sehen,
  Und die nicht widerstehen.
Wie war dein Fall so tief!
  Aber als entthöret
  Dein Herz zum Himmel rief,
  Hat er dich gehöret;
  Jetzt singest du Triumpf!
  Des Feindes Kling' ist stumpf,
  Und sich in Eingeweiden
  Fühlt er die deine schneiden.
Schön in einiger Kraft
  Fügt nicht fest und fester
  Eine Völkerschaft
  Sich zur andern als Schwester?
  Soweit Himmelsthau
  Fällt auf deutsche Au,
  Seh' ich, kampfentzündei,
  Alle Herzen verbündet.
Riesenhaftig groß
  Wächst meines Volkes Jugend,
  Ein eherner Koloß
  Gliederstark sich sagend;
  An des Krieges Gluth
  Wird zu Stahl sein Muth,
  Stets inniger sich verschmelzend,
  Tod aus die Feinde wälzend.
Doch nicht blos im Kampf
  Sei der Eintracht Dauer,
  Wo zuckt im Arme der Krampf,
  Im Herzen fiebrischer Schauer;
  Wann, Gesundheit-gleich,
  Kehrt des Friedens Reich,
  Dann erst soll in Reinheit
  Sich recht bewähren die Einheit.
Denn nicht mit Speeren allein
  Wird der Feind geschlagen;
  Und nicht kann es gedeih'n,
  Von den Gränzen ihn jagen.
  Aber wenn in der Brust
  Bleibt wohnen krieg'rische Lust,
  Um auch im Frieden zu streiten,
  Das schlägt ihn auf ewige Zeiten·
Darum, wer sich als Mann
  Zu Deutschlands Ruhm will gesellen,
  Soll stets für sich fortan
  Dies Paar von Kämpfern stellen:
  Einen gewaltigen Haß,
  Kriegend ohn' Unterlaß,
  Und eine mächtige Liebe
  Von nie ruhendem Triebe.
Künftig sollen vereint
  Stehen alle die Hasse
  Als Gränzhut gegen den Feind,
  Daß er davor erblasse;
  Aber die Lieben all
  Sollen in buntem Schwall
  Auf heimischen Gefilden
  Ein Volk von Brüdern bilden.
Wie in der alten Zeit
  Patriarchengeschlechte,
  In großer Einigkeit,
  Herr, Weib, Kinder und Knechte,
  Nur von Gesetzen regiert,
  Die die Natur gebiert,
  Wohnten gleich ihren Heerden:
  So soll es wieder werden.
Die von Ursprung aus
  Einer Mutter entstammen,
  Als ein großes Haus
  Sollen sie wohnen beisammen;
  Als Bruder soll ein Stand
  Reichen dem andern die Hand,
  Und der Fürst sei der Vater,
  Des Hauses Oberberather.
Die ihr Scepter führt,
  Wisset, daß ihr Kinder
  Beherrschet, welchen gebührt
  Gehorsam, doch nicht blinder:
  Mündig ist das Geschlecht,
  Darf fragen nach seinem Recht;
  Rechnet's ihm nicht zum Verbrechen,
  Wenn's mit d'rein will sprechen.
Ihr Völker aber bedenkt,
  Daß, wenn nicht die Zäume
  Ein fester Arm euch lenkt,
  Ihr schweift in irre Raume:
  Volksherrschaft ist nicht gut,
  Schlimm Herrscher aus fremdem Blut;
  Am besten vor Fürsten, gezeuget
  Aus eigenem Stamm, sich gebeuget.
In dem großen Verband,
  Welcher Staat sich nennet,
  Zu achten ist jeglicher Stand,
  Der seine Pflicht erkennet.
  Du Pflüger, der du zu tiefst
  Stehst und von Schweiße triefst,
  Du streust in aller Namen
  Der Wohlfahrt ersten Samen.
Du nimmst zuerst aus dem Grund
  Die Frucht und reichst sie weiter,
  Die bis zu des Königes Mund
  Aufsteigt auf langer Leiter;
  Dir unter den Händen reift
  Der rohe Stoff; dann greift
  Ihn an mit Zangen die Gilde,
  Daß sie ihn maunichfach bilde.
Es wird der Edelstein
  Veredelt unter'm Schliffe,
  Und köstliche Spezerei'n
  Werden verführt vom Schiffe:
  Zuletzt läuft alles Gut,
  Das kreist auf irdischer Flut,
  Ein in den Hafen des Geistes,
  Und sein Eigenthum heißt es.
Denn was jegliche Zunft
  Hat geschafft und gewonnen,
  Wird von des Denkers Vernunft
  In geistige Fäden gesponnen:
  All andres ist Hand und Fuß,
  Das rühren und regen sich muß;
  Er in seiner Stirne
  Trägt des Volkes Gehirne.
Es ist gut und ist recht,
  Daß verschiedene Kräfte
  Im großen Staatsgeflecht
  Sind, jede für eigne Geschäfte,
  Wie an einem Haus
  Zum Behuf des Bau's
  Mannichfache Gewerke
  Prüfen ihre Stärke.
Jedem hat Gott zur Hand
  Gegeben ein Handwerksgeräthe,
  Wenn mit Geschick und Verstand
  Er stets den Dienst nur thäte:
  Jeder soll führen seins
  Wo's Noth thut, alle eins,
  Des Staatbau's gründlichsten Hebel,
  Den Degen oder den Säbel.
Nicht nur wer obenauf
  Setzt des Baues Zinnen,
  Oder der Säulen Knauf,
  Soll Lob und Preis gewinnen;
  Gelobt soll jeder sein,
  Wer da, groß oder klein,
  Arbeitet im tiefsten Gemache,
  Oder auf höchstem Dache.
Denn wenn der nicht käme mit Sand,
  Und nicht jener mit Kalke,
  So stünde nicht diese Wand,
  Und läge nicht jener Balke:
  Aus dem kleinsten setzt
  Sieh großes zusammen zuletzt,
  Und keins darf fehlen von allen,
  Wenn nicht das Ganze soll fallen.
../../_images/zeitgedichte-s043-ode.jpg ../../_images/zeitgedichte-s044-ode.jpg ../../_images/zeitgedichte-s045-ode.jpg ../../_images/zeitgedichte-s046-ode.jpg ../../_images/zeitgedichte-s047-ode.jpg ../../_images/zeitgedichte-s048-ode.jpg