Neugriechenland.

Die, ohne die wir waren,
  Und wären noch Barbaren,
  Und zu Barbarenherden,
  Von neuem würden werden,
  Wo nicht uns umgebären
  Ihr Geist würd' und mit Menschheitadel nähren;
Die Enkel sind's von jenen
  Hochheiligen Hellenen,
  Die unter'm Joch geschlafften,
  Dann unter'm Druck gestrafften,
  Nun glorreich aufgerafften
  Urenkel, denen
  Des Kapitals, das wir empfingen
  Von ihren Vätern, wir nun spät die Zinsen bringen.
Wir bringen wieder die Kultur,
  Von wo sie hergedrungen,
  Zurück zur gottgeweihten Flur,
  Wo sie von selbst entsprungen,
  Wo ihre Spur
  Verschlungen
  Vom Sturz der Zeit, harrt unsres Anbaus nur.
Wir bringen Uniformen
  Dazu vom neusten Schnitt
  Und europäische Normen
  In Menge mit.
Sie gehn hier gleich den Wilden
  Natürlich nackt;
  Wir komrnen sie zu bilden
  Gleich uns zu Menschen abgeschmackt.
Sie haben abgerissen
  Die Kleider in dem Kampf mit Türken,
  Die wir nun sind beflissen
  Aus altem Trödel neu zu wirken.
Schämt euch vor den Gestalten,
  Erinnernd an die idealen alten,
  Wenn ihr wollt eure Lappen
  Und Klappen an antike Rumpfe pappen,
  Auf bronzne Stirnen eure knappen Kappen!
  Da hätten sie behalten
  Den Turban besser und des Kastans Falten.
Schämt euch vor dieser Sonne,
  Vor diesem Himmel, dieser Luft,
  Die mit wehmüth'ger Wonne,
  Mit goldenem Erinn'rungsduft,
  Sich breiten um der Heldenschönheit Gruft.
  Ihr müßt ihr Flüstern, müßt ihr Wehen,
  Ihr Flehn, ihr Zürnen, wohl verstehen;
  Es ruft:
  Wir wollen hier nichts fremdes sehen,
  Das schöne heim'sche soll verjüngt erstehen.
Südinsulaner mögen sieh ergötzen
  An eurer abgetragnen Bildung Fetzen;
  Doch hier ist müßig das und überflüssig,
  Was man bei euch schon selbst ist überdrüssig,
  Und was ihr darum wohl uns gönnt,
  Weil ihr es los nicht werden könnt.
  Was soll der Tod von Ypern
  Der meerentstiegnen Königin von Cypern?
  Die Helden aus der Iliade
  Zu travestiren wäre Schade.
Doch ihr seid weis' und hochbegabt,
  Daß ganz ihr eurer Aufgab' Umfang fasset,
  Was ihr zu thun und was zu lassen habt,
  Daß ihr nicht machet, sondern wachsen lasset,
  Im Boden, den ihr schonend grabt,
  Gewächs, das für ihn passet.
Von Schicksalsmächten ward ein Kind
  Zum König drum erlesen,
  Daß er, einathmend Griechenluft, geschwind
  Vergesse, daß er ein Barbar gewesen.
Das kann Europa nicht begeistern,
  Wenn es nur sieht ein Reich, dergleichen es zu Schocken
  Schon aufzuweisen hat, zusammenkleistern,
  Das kann auch nicht die Griechen locken.
Die Grenz' ist nicht zu eng gesteckt,
  Ein Raum, der so viel Völker trug
  In ihrer Größe Tagen;
  Wenn ihr den Geist der Größe weckt,
  Der kleine Raum ist groß genug,
  Ein größtes Volk zu tragen.
Wenn es des Umzugs Mühe lohnt,
  Bald werden fünf verstreute Millionen
  Von Griechen reich im Griechenlande wohnen,
  Wo dürftig itzt die halbe wohnt,
  Und nicht bedarf's barbarischer Kolonen.
Wie einst hinaus die Kolonien
  Athen und Pelops Eiland sandten,
  So werden sie zurück nun ziehn
  Zum Herd der Mutter, alle Stammverwandten;
  Und deren, die als Brüder sich erkannten,
  Begeisterungen bauen ihn,
  Den eingesunknen ausgebrannten,
  Wie Thebens Mauer einst Amphions Melodien.
Dann wird Europas Beifall auch
  Aus seiner Dichter Mund nicht länger schweigen,
  Mit als ein Duft im Opferrauch
  Des neuen Flammenherd's empor zum Himmel steigen.
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