60.
Frühling, vollen! vollen
Liebesüberfluß!
Mehr als Herzen wollen,
Strömenden Genuß!
Wonnen mehr, als schwellen
Wünsche meine Brust,
Ungezählte Wellen,
Ungemessne Lust!
Mir nicht Sonnestrahlen,
Sondern Sonnengluth,
Mir nicht Thaues Schalen
Sondern Meeres Fluth!
Mir nicht ferne Grüße,
Mir nicht leisen Blick,
Sondern heiße Küsse,
Ketten um' Genick!
Nicht die halben Lippen,
Sondern vollen Tausch,
Nicht des Bechers Rippen,
Sondern ganzen Rausch!
Röthlich angeglommen
Sei nicht Luftazur,
Eine Gluth verschwommen
Morgenroth und Flur!
Nicht ein knospend Ringen,
Sondern voller Flor,
Nicht vereinzelt Klingen,
Sondern voller Chor!
Nicht verzagte Blätter,
Sondern buntes Grün,
Wechselreich Geschmetter,
Durcheinanderblühn!
Rosen an dem Stocke
Meiner Lust soviel,
Daß sich mag die Flocke
Nehmen Oft zum Spiel.
Immer neu befissen
Knospen aufzugehn,
Daß wir nicht vermissen,
Die wir sterben sehn.
Immer neu Gefieder,
Immer neuen Schall,
Tausendfache Lieder,
Gleich der Nachtigall!
Daß die Rose lauschen
Mag mit halbem Ohr,
Eins sie muß berauschen,
Wenn sie eins verlor.