Eins, Geliebte, muß ich rügen

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Eins, Geliebte, muß ich rügen,
  Das dich mit dir selb entzweit,
  Das den milden Engelszügen
  Stört die sichre Heiterkeit.
In der Seele tiefstem Grunde
  Fühlest du so stark wie ich,
  Daß wir sind im ew'gen Bunde,
  Und nichts trennet dich und mich.
Doch oft kann ein Nichts genügen,
  Eine Kleinigkeit, ein Scherz,
  Um's Gefühl dich zu betrügen,
  Das doch ganz erfüllt dein Herz.
Das Bewußtsein aller Stunden,
  Aller Liebesschwüre Kraft,
  Sind sie denn im Nu geschwunden,
  Hat ein Hauch sie hingerafft?
Alle sel'gen Liebesfüllen,
  Aller Himmel Sonnenschein,
  Konnte sie in Schatten hüllen
  Eines Augenblickes Pein?
Lieb' ist das, doch ist sie bänglich,
  Wenn sie nicht kann widerstehn,
  Was sie fühlt als unvergänglich,
  Für vergänglich anzusehn.
Kann ein Wort aus fremdem Munde
  So dich kälten, süßes Herz? -
  Aber sieh, zu dieser Stunde
  That's des eignen Freundes Scherz.
Was du ja mußt besser wissen,
  Glaub' es doch nicht einem Scherz!
  Drücke dir nicht wehbeflissen
  Selbst den Rosendorn an's Herz!
Drücke nicht, o meine Rose,
  Selbst an's Herz den Rosenstift!
  Sauge nicht, erbarmungslose
  Bien'n aus Redeblumen Gift!
Warum willst du selb dich tödten,
  Tödten mein Gefühl in dir?
  Welt genügt mit ihren Nöthen,
  Ihr nicht helfen wollen wir.
Zwar, was eben dich beklommen,
  Was dich flüchtig hat verstimmt,
  Ist verschwunden und verschwommen,
  Wie der Freund in Arm dich nimmt.
Doch wenn einst die Zweifel kämen,
  Sei's durch andre, sei's durch mich,
  Und sogleich in Arm nicht nehmen
  Könnt ich, liebe Seele, dich:
Wolltest du denn lassen walten
   Diese fremde Kraft in dir,
   Blutig dein Gefühl zerspalten,
   Und dich fühlen außer mir?
 Liebster! nein, bei meinen Zähren!
   Meiner Liebe Sonnenschein
   Würd' aus der Umwölkung klären
   Sich auch durch sich selbst allein.
 Aber Pein würd' ich empfinden,
   Bis ich neu mich fänd' in dir.
   Sollst mich künftig stärker finden,
   Heut verzeih' die Schwäche mir.
 Liebstel Seele meiner Seele,
   Du verzeih' die rauhe Qual!
   Daß dich fürder Scherz nicht quäle,
   Abschied hab' er allzumal!
 Mit der Welt nur will ich scherzen,
   Weisen sie mit Scherz zurück,
   Aber nicht mit deinem Herzen,
   Aber nicht mit meinem Glück.
 Doch, soleicht du zu verwunden,
   Bist du auch zu heilen leicht;
   Und ich hab' es tief empfunden,
   Daß dich Liebe schnell erweicht.
 Und so ist es denn gekommen,
   Wie die Mutter dir gesagt,
   Neulich, als sie wahrgenommen,
   Daß wir zwistig uns genagt:
 Soll ich's loben, soll ich's klagen?
   Immer wenn ihr euch entzweit,
   Seh' ich nur in nächsten Tagen
   Wachsen eure Innigkeit.
 Gegen meines angeklungen
   Ist das meinige zersprungen;
   Was bedeutet das?
 Hör', o Liebste, wie ich's meine:
   Nur zersprungen ist das eine,
   Ganz ist eins noch hier.
   Folgen wir des Himmels Winken:
   Zwei aus Einem Glase trinken
   Künftig sollen wir.