Der Weichdorn.

Als Maria heut' entwich,
  Heu' vor Jahren, über
  Das Gebirge endelich,
  Wunderten darüber
  Alle Büsch' und Bäume sich,
  Wie vorüber
  So geschwind
  Wie ein Frühlingswind sie strich.
Und sie hätten gern im Gehn
  Gern sie angehalten,
  Durften sich's nicht unterstehn
  Alle jung' und alten;
  Nur ein Dörnlein hielt im Wehn
  Ihre Falten
  Wie ein Kind,
  Und begann geschwind zu flehn:
Laß von diesen Tropfen Schweiß,
  Die auf deinen Wangen
  Stehn auwie die Perlen weiß,
  Eine mich empfangen!
  Wenn auf mir die Perle leis
  Ist zugangen,
  Will ich lind
  Duften deinem Kind zum Preis.
Und sie gab von ihrer Wang'
  Ihm ein Tröpflein nieder,
  Das dem armen Dorn durchdrang
  Herz und alle Glieder.
  »Wann dir Blatt und Blüth' entsprang,
  Kehr' ich wieder,
  Mein Gesind!
  Jetzo nicht mich bind' im Gang!«
Und es läßt der Dorn sie gehn,
  Und der blätterlose
  Sieht sich Blatt um Blatt entstehn,
  Ros' erblühn um Rose.
  Jede Ros' ist anzusehn
  Wie im Schooße
  Jesuskind,
  Duftet auch so lind und schön.
Eh' des Dörnleins Rose roch,
  Duftets schon am Laube,
  Und die Blättlein dusten noch
  Von der Ros' im Staube.
  Wann sich Blüth' und Blatt verkroch,
  Ob nun schnaube
  Winterwind,
  Duftet Holz und Rind' ihm doch.
Weichdorn soll mich Berg und Kluft,
  Das ist Weihdorn, nennen;
  Wenn man Rosendorn mich ruft,
  Werd' ich's nicht erkennen.
  Mich geweiht bei Wieg' und Gruft
  Soll man brennen.
  Augen blind
  Stärkt als Angebind mein Duft.
Ich bin's, der die Aepfel trägt,
  Die, dem Ruhekissen
  Des Schlaflosen unterlegt,
  Schlummer bringen müssen,
  Daß dein Herz in Frieden schlägt,
  Wie dem süßen
  Himmelskind,
  Als es Kripp' und Rind umhegit.