Der Fußwanderer.

Wenn auch mich ein Gott,
  Und sei's auch nur
  Von den kleineren einer,
  Bis hieher
  Auf meiner Lebensreise
  Geleitet hat;
  So hör' er gnädig
  Jetzt mein Gebet!
  Des Fußreisenden
  Stillhinwandelnden
  Anspruchloseres
  Frommes Gebet.
Nicht mit Rossen und Wagen,
  Dienstbar gemachter
  Fremder Kraft,
  Durch die Menge zu rasseln,
  Rechts und Links
  Staub und Aussehn
  Zu erregen,
  Ist mir verliehn.
Sondern mit eignem
  Rüftigem Fuße
  Die gebahneten Pfade
  Nach meinem Ziel
  Hinzuwandeln;
  Aber wo Neugier
  Und kühner Muth
  Mich abseits lockt,
  Selbst mir im Nothfall
  Einen zu bahnen;
  Fest dabei mich zu stützen
  Auf meinen Freund,
  Den erkorenen
  Wanderstab.
Und so lasse der Gott,
  Wenn es ihn freut,
  Wie ich's begonnen,
  Mich's zuin glücklichen
  End' auch führen.
In der Frühe des Tages
  Wecke die Sonne mich,
  Oder der Morgenstern,
  Daß ich eine schöne Strecke
  In der duftigen Frische wandle,
  Eh' im Scheitel
  Die Sonne brennt;
  Dann die Gluthen des Mittags
  Unter kühlenden Schatten ich
  Schlaz vermeide,
  Sorglos ruhend,
  Sicher doch
  Mit vom Abend
  Beflügelten Schritten
  Des zu erreichenden
  Ziels vor Nacht.
Den eitlen Prunk der Städte
  Mag ich gerne vermeiden,
  Der nicht dem Fuß-
  Wanderer ziemt.
  Durch lustwandelnder Gaffer
  Glänzende Kleider,
  Schwebenden Gang,
  Mit wundem Tritt
  Aus brennendem Pflaster,
  Mit staubigem Schuh
  Und fliegendem Haar,
  Auf dem Rücken das Bündel,
  Ein lächerlicher Auszug ist's.
Wenn der Heerweg
  Gegangen sein muß,
  Der langweilig,
  Unerquickliche
  In einförmiger Dehnung,
  Wo die lastbarew
  Räder knrren,
  Der Fuhrmann flucht,
  Müßige Kutscher,
  Vorüberfliegend
  Staub auswirbeln
  In des Wanderers Antlitz;
  Oder hoch-
  Trabende Reuter,
  Vorbeigetrabt,
  Umsehn nach dem,
  Der Schritt mit ihnen nicht halten kann;
  Lehre der Gott
  Ruhige Fassung
  Mich und Geduld,
  Daß vom ebenen
  Boden ich
  Nicht hinauf
  Zürne zu denen,
  Die gewiegt und geschaukelt,
  Weiter kommen,
  Als ich mit meines
  Schreitenden Fußes Kraftanstrengungen.
Durch die Dörfer im Grunde,
  Vorbei die friedlichen Mühlen,
  Ueber blühende Wiesen,
  Zeig' er den schlängelnden
  Fußpfad mir;
  Und hinauf, ins Gebirg,
  Waldschluchten hindurch,
  Unwegsame dem Reuter,
  Mach' er die unbekannten
  Steige mir kund;
  Daß am Abend ich dennoch
  Auf kürzerem Weg
  Zurückgewonnen
  Den abgewonnenen Vorsprung habe.
Herrlich labt's
  Von des hohen Gebirgs
  Höchsten errungenem Gipfel,
  Stehend, athmend,
  Niederzuschaun
  Auf die unten liegende Welt,
  In die Unendlichkeit um sich her
  Den Blick zu verlieren:
  Doch ich halte mich lieber
  An des abgeschlossenen
  Mich umfangenden Thales
  Schöne, sichere Begränzungen.
  Ruhend am Bach
  Rücklings das Haupt
  In's Gras gebückt,
  Staunend empor
  Zu den Bergen blick' ich,
  Oder lasse,
  Vorwärts geneigt,
  In der Fluth sich
  Neben mir
  Die überhangenden spiegeln.
Aus ihrer Nähe
  Gewaltigem Odem
  Wehet der unerforschten Natur
  Schöpferisches
  Brausen mich an
  Aber wo ihre
  Liebsten Geschöpfe,
  Meine Brüder,
  Die Menschen sich
  In den Ebenen
  Und im Thale
  Still ihr Dasein
  Geordnet haben,
  Will ich's sehn im Vorübergehn.
Wo die Saaten wogen,
  Und Heerden läuten,
  Ein Dorf versteckt
  Aus rauchenden Hütten
  Den Kirchthurm hebt,
  Rühre der fehlenden,
  Oder entbehrten
  Heimath schmerzlich
  Süßes Gefühl
  Im Vorbeigehn
  Den Wanderer an.
Wo die Bilder der Liebe
  In spielender Knaben
  Gesundheitsfülle
  Auf vollblühenden
  Mädchenwangen
  Und im funkelnden
  Jünglingsblick,
  Oder auch
  Auf des ruhigen Mannes
  Ernster Stirne
  Voll Vatersorgen,
  Doch ohne Falten,
  Mir begegnen
  Will ich sie im Vorbeigehn segnen.
Und am Abende,
  Wenn ich müde
  Vom bewegten
  Gemälde des Tages,
  Nicht ermattet,
  Doch zur Ruhe
  Der Nacht mich sehne:
  Zeige der Gvtt
  Wenn er mich liebt,
  Daß ich das feile
  Wirthshaussschild
  Vorbeigehn kann,
  Wo man den Gast um Bezahlung ehrt;
Zeig' er eine
  Hütte mir
  Mit des Hofes offener Pforte,
  Wo, die Sitte der Zeit nicht kennend,
  Noch die alte
  Gastlichkeit wohnt,
  Die den grüßenden
  Zu sich ladend,
  Ihn am getheilten
  Mahl erquickend,
  Um Gotteslohn
  Geb' Obdach bis zum Morgen.
Und ein freundlicher
  Traum besuche
  Mich mit dem Schlafe zu Nacht;
  Der des Tages
  Lust und Leiden,
  Licht und Schatten
  Sanft ausgleichend
  Was ihm noch fehlt,
  Alles gebe dem Herzen;
  Während sein Bruder,
  Gliederlösend,
  Stärkend im weichen
  Arme mich hält;
  Bis die Lüfte des Morgens
  Beide scheuchen,
  Und erwacht
  Mit frischer Lust
  Der weitern Reise ich gedenke.