Abschied von Neuseß.

Eh' ich diesmal von dir schiede,
  Mahnet meine Liebe mich,
  Ob ich endlich nicht im Liede
  Nennen woll', o Neuseß dich,
  Das wohl mancher, der dich kennet,
  Leicht in manchem Lied erkannt,
  Doch das ich —- undankbar nennet
  Es die Liebe — nie genannt.
  Neuer Sitz am alten Koburg,
  Mir im Herbst ein neuer Lenz,
  Meine kleine Freudenfrohburg
  Ehrenburg und Residenz!
  Dessen Schatten ein Vertrauter
  Meiner Einsamkeiten sprießt,
  Wo die Lauter hell und lauter
  Meinem Zaun vorüberfließt.
Wo ich, was ich strebt', erstrebte,
  Wo ich, was ich rang, errang,
  Meinen Liebesfrühling lebte,
  Meinen Liebesfrühling sang.
  Könnt' ich auch in dir verleben
  Meinen Lebensherbst! in dir
  Ihn versingen? Das nicht eben;
  Gieb nur das Verleben mir!
Ein Verleben und Erleben,
  Ein Ausleben rein und gar,
  O Natur, wie du gegeben
  Allen Pflanzen dieses Jahr,
  Wo du noch mit Sonnenglanze
  Krönst den Baum, den du entfärbst;
  So in meiner Kinder Kranze
  Laß mich leben meinen Herbst!
Doch warum nicht auch ihn singen?
  Ist nicht hier Poetenluft?
  Und sogar, vor allen Dingen,
  Ist nicht hier Poetengruft?
  Ja, dem Reisevater Thümmel,
  Der noch manchen heiter rührt,
  Steht, entfernt vorn Stadtgetümmel,
  Dort sein Denkmal ausgeführt,
Wohlgewählt auf angenehmer
  Mittlerer Erhöhung dort,
  Wo sich darstellt zu bequemer
  Ueberschauung Thal und Ort;
  Wählte nicht der reisematte
  Sich die letzte Aussicht schön,
  Der stets seinen Standpunkt hatte
  Aus des Lebens mittlern Höhn?
Gegenüber aus dem Fenster
  Meiner Wohnung sah ich schon
  Ost zur Stunde der Gespenster
  Aus dem Grab den Göttersohn
  Stehn, und aus der Wipfel Wallen
  Niederschaum in Mondenschein,
  Lauschend auf die Nachtigallen,
  Die sein Herzog hegt im Hain.
Schön ist es, zum Freunde haben
  Einen Fürsten, der den Mann
  Lebend ehren, und begraben
  Auch in Ehren lassen kann;
  Schön solch einen, der vor allen
  Die Natur und Kunst so liebt,
  Daß er selbst den Nachtigallen
  Freie Statt im Freien giebt.
Mir ein Denkmal auszuführen,
  Will ich Fürsten nicht bemühn;
  Wie sich meine Saiten rühren,
  Steigt es in die Wolken kühn,
  Höher, glänzender und größer,
  Um mit Stolz herabzusehau'n
  Aus die beiden höchsten Schlösser,
  Die sich dort entgegen bau'n:
Dorther ob der Stadt die Beste,
  Hinter der die Sonne steigt,
  Dort die schön erneuten Reste
  Kahlenberg's, wo sie sich neigt.
  Nordwärts neigt sie sich den Zinnen
  In des Sommers höchstem Stand;
  Wenn sie's südwärts thut, von hinnen
  Treibt uns dann der Herbst vom Land.
  Wenn noch aus den Burgen Riesen
  Wohnten wie in alter Zeit,
  Könnten brüderlich von diesen
  Beiden auch, wiewohl so breit
  Drunten mit dem Blüthenprangen
  Sich dazwischen legt das Thal,
  Zwei darüber hin sich langen
  Morgentrunk und Schlafpokal.
Aber nun, vor Riesenschatten
  Ueber'm Haupte wenig bang,
  Zeich'n ich durch bethaute Matten
  Zu dir meinen Morgengang,
  Kahlenberg, vorbei dem Weiher,
  Der empor den Frühdampf schickt,
  Den mein Auge droben freier
  Mit der Sonne niederblickt.
O wie oft in solchen Stunden,
  Wo dein Lustschloß, unbesucht
  Gleichsam schläft, hab' ich gefunden
  Meine Lust hier ungesucht!
  Jeden Gang hab' ich betreten,
  Und besessen jede Bank,
  Die man, von mir ungebeten,
  Doch gemacht zu meinem Dank.
Keine mehr zu meinem Danke
  Als genüber die dem Schloß,
  Das von da wie ein Gedanke
  Alter Zeiten still und groß
  Sich vor Aug' und Seele stellet,
  Altergrau und jung zugleich,
  Schmuck und Wohnlichkeit gesellet,
  Wie ein künf'ges deutsches Reich.
Aber nun in dunklen Forsten
  Laßt mich meinen Heimweg spähn,
  Wo die freien Vögel horsten,
  Und gefangne Thiere gehn;
  Staunend hab' ich hier gehöret,
  Und verwundert auch gesehn,
  Wie der Hirsch im Dickicht röhret,
  Und wie ihm die Zacken stehn.
Tretend aus des Wildeg Zaune,
  Schließ die Gatter hinter dir,
  Dankbar daß dir Fürstenlaune
  Zeiget manches seltne Thier,
  Selbst den Steinbock, der getreulich
  Her kam mit der Schweizerei.
  Aber klagt, daß es abscheulich
  Flach auf diesen Alpen sei.
Herbstwind, der du diese Felder
  Zum Heerlager nun gewählt,
  Lichte zögernd diese Wälder!
  Denn die Blätter sind gezählt
  Von dem Herrn; wie seine Krone
  Hat er Laubeskronen lieb,
  Brechen kann er sehn nicht ohne
  Mitleid einen grünen Trieb.
Gleichwie einst am Hellesponte
  Xcrxes, als er zog einher,
  Ungerührt nicht sehen konnte
  Einen Platan, welchem er
  Eine Ehrenschutzwach stellte,
  Daß ihm sei gekränkt kein Laub;
  Den das Perserheer nicht fällte,
  Nahm der Winter doch zum Raub.
Und so sei nur ungeschmeidig,
  Wirf die Blätter auf den Rain!
  Hier vertreibest du mich leidig,
  Doch ich ziehe jeht zum Main;
  Morgen zieh' ich hin zum Maine,
  Wo du jetzt die Blätter streifst
  Von dem Berg, wie hier vom Haine,
  Doch darunter Trauben reifst.
Daß an ihm ich bin geboren,
  Macht den Main so lieb mir nicht,
  Als dasß er im Tanz der Horen
  Diesen Kranz, den letzten, flicht;
  Ja, mich zieht aus deinem Frieden,
  Neu erkorner Heimathsport,
  Keine Frucht der Hesperiden,
  Sondern nur die Traube fort.
Und ich werd' in dir o Neuseß,
  Ganz vor Heimweh sein umschanzt,
  Wann ich statt des Waldgesträußes
  Reben erst hab' angepflanzt.
  Hab' in jedem Stand der Sonne
  Schon darauf dich angeschaut,
  Da und dort mit Herzenswonne
  In der Zukunft Wein gebaut.
Wo der Goldberg seine Halde
  Sanft zum Mittagstrahle kehrt,
  Und die Stirn mit Eichenwalde
  Gegen Nord und Oft bewehrt;
  Dort, wo spärlich goldne Aehren
  Wachsen, wächst ein goldner Wein,
  Den als Sonnenkind gebären
  Wunderähnlich Sand und Stein.
Dort im selbstgepflanzten Garten,
  Wenn zur Wahrheit wird ein Traum,
  Will ich meiner Reben warten,
  Und mir pressen Purpurschaum
  Ihn zu spenden meinen Lieben,
  Allen, die mein Herz erkor,
  Allen, die durch Gott mir blieben,
  Und die ich durch ihn verlor.