Die treuen Blumen.

                    1816

(Ein Denkmal meines Lebens zu vernichten,
  Schien urecht mir, darum entschloß ich mich,
  Ein unvollkommnes bessernd umzudichten.
Des Reimes starke Bänder sträuben sich
  Der neuen Fügung, die ich muß versuchen;
  Nun, Lied, so gut es gehn will, füge dich!)
Jüngst als ich wandelt' unter alten Buchen,
  Um zwischen abgefallner Blätter Graus
  Die frischgebliebnen Blumen aufzusuchen,
Als Kranz, als Kränzhen, Sträußchen oder Strauß,
  Als irgend ein Geflecht, Gewind,  Gekette,
  Sie fortzutragen in der Liebsten Haus;
Gelangt' ich suchend an solch eine Stätte,
  Wo ich, wenn ich gebrauchte nur die Hand,
  Bald eins von jenen Dingen fertig hätte.
So manche Blume war, die da sich fand.
  Da kam zu meinem Ohr ein seltsam Tönen,
  Daß ich des Pflückens unentschlüssig stand.
Erst schienen mir die Lüfte nur zu stöhnen,
  Die herbstlichen, im abgewehten Laube;
  Dann merkt' ich, daß es kam von blüh'nden Schönen,
Und klang: O Weh dem Triebe, der dem Staube,
  Dem dunkeln, uns enttreibt zum hellen Licht;
  Wie schwerem Fluche werden wir zum Raube!
Wann heiß die Sehnsucht aus der Knospe bricht,
  So warten, rauh sie abzukühlen, Stürme.
  Doch mit den Stürmen hadern wir hier nicht.
Wir hadern nicht mit nagendem Gewürme,
  Das klein am Boden dunkle Häuser baut;
  Mit ihm, der stolz sich thürmet seine Thürme,
Aus denen hoch sein Hochmuth niederschaut,
  Mit dem von uns geliebten (hör' er's nur),
  Dem Menschen, hadert unser Schmerzenslaut.
Denn, wo er wandeln mag durch Thal und Flur,
  Stehn wir bereit, wir ewig ihm ergebnen,
  Sanft einzufassen seiner Füße Spur;
Mit weichem Flaum den rauhen Pfad zu ebnen,
  Wie auf den Händen ihn zu tragen. Oh
  Schad' um die treuen Mühen, die vergebnen!
Zufrieden meistens müssen wir und froh
  Noch sein, ivenn ihr aus euern ernsten Gängen
  Uns nicht zertretet unachtsam und roh.
Doch brauchen wir uns euch nicht aufzudrängen;
  Ihr mögt es haben, wenn ihr, im Entfliehn
  Vor uns, am nackten Dorne bleibet hängen.
Auch jenen andern sei die Schuld verziehn.
  Die nur aus Blumen wollen Heu gewinnen,
  Weil ihnen ist kein seinrer Sinn verliehn.
Des Todes Sicheln kann kein Mensch entrinnen,
  Und auch die Blumen haben ihre Frist;
  Wie sollten darum unsre Thränen rinnen?
Jetzt aber kommt die Klag' um falsche List,
  Jetzt kommt, was uns allein zu Thränen zwingt,
  Was uns viel schmerzlicher denn Sterben ist:
Daß die, nach der all unser Leben ringt,
  Daß die, der gern all unsre Kräfte dienen,
  Daß uns den Tod die Menschenliebe bringt.
Wo Liebe sich uns zeigt in Menschenmienen,
  Da werden Blumen erst zu Blumen ganz,
  Da ist ein Amtsberuf uns erst erschienen.
Da wissen wir, wozu uns ward der Glanz,
  Und fühlen, daß die hellen und die bleichen
  Berufen sind zu bilden Einen Kranz:
Da neiden wir, die Blumen, keine Eichen,
  Weil mehr von uns, als von dem höchsten Baum,
  Liebende nehmen liebe Liebeszeichen.
Wie süß für uns ist solcher Liebestraum!
  O wäre nur das Herz des Menschen treuer!
  In diesem Stück gleicht er den Blumen kaum.
Wie müssen wir's entgelten schmerzlich theuer,
  Was in uns hat sein Odem angefacht,
  Ach, uns, statt ihn, verzehrt das Liebesfeuer!
Wir wissen nicht, wie ihr es, Menschen macht,
  Daß ein Gefühl, das Ewigkeiten fodert,
  Des Morgens ausgeht, und erlischt vor Nacht.
Wir Blumen dächten, wo Lieb' einmal lodert,
  Müßte solang' auch als das Leben glühn
  Die Lieb', und glühn noch, wo das Leben modert.
Wir aber sehen eure Liebe blühn,
  Die einer Blume sich so gern vergleichet;
  Sie welkt, und wir, die Blumen sind noch grün.
Das ist, was so den herben Kelch uns reichet,
  Das ist, was so knickt unsern frischen Muth;
  Das ist, was so mit Frösten uns beschleichet.
Wenn ihr so schnell die Liebe von euch thut,
  Und eine arme Blume drum verkam,
  So denkt ihr, daß es that der Stürme Wuth;
Und denkt nicht, daß es that um euch der Gram.
  Wir grämen uns, weil ihr euch nicht könnt grämen;
  Wir sind nun einmal nicht so wandelsam.
Wir schämen uns, weil ihr euch nicht wollt schämen,
  Für euch und uns, daß, wo ihr wollt betrügen,
  Wir eure Falschheit helfen euch verbrämen.
Doch wenn ihr zu uns kommt mit solchen Zügen,
  Wie sie der Mensch im Paradiese trug;
  Wie sollten wir auch denken, daß sie lügen?
O könntet in ununterbrochnem Zug
  Der Lieb' ein Leben ihr, wie wir, ausdauern!
  Dazu lebt ihr zu lang', und seid zu klug.
Uns weckt der Lenz, begräbt des Herbstes Schauern;
  Dazwischen liegt der Liebe Sommertraum;
  Und wärt nicht ihr, so kennten wir kein Trauern.
O wenn ich wäre solch ein Menschenbaum,
  Ich wollte nicht vor jedem Hauche zittern,
  Ich wollt' in meines Busens sicherm Raum
Der Liebe zarte Blüthen so vergittern,
  Daß sie, unangerührt von fremdem Drang,
  Den Himmel draußen ließen ungewittern.
Ich wollte blühen einen Sommer lang,
  Und wollte selber mir mein Wetter machen,
  Wie ich es brauchte, still, mit festem Gang.
Und wann der Winter grollte, wollt' ich lachen,
  Der Schloßen spottet' ich im festen Schloß,
  Und unterm kalten Schnee warm wollt' ich wachen.
Im Stillen hätt' ich einen neuen Sproß
  Getrieben, und verloren nicht den alten;
  Im Frühling schöb' ich weiter Schoß aus Schoß;
Und immer weiter so, ohn' anzuhalten,
  Solang ich in mir selbst noch spürte Saft,
  Und über mir noch Raum, mich zu entfalten.
Und immer höher schöb' ich meinen Schaft,
  Bis ich zuletzt mir selbst ein Wunder bliebe,
  Hoch, einzig, unvergleichlich, räthselhaft
Und Liebe sollte sein in jedem Triebe
  Des Wunderbaums, und Lieb' an jedem Ast,
  An jedem Zweig, an jedem Zweiglein Liebe;
Und Lieb' im Stamm, und in des Stammes Bast,
  Und in der Wurzel Lieb' am allermeisten,
  Weit mehr, o Mensch, als du im Herzen hast.
Zu solchem wollt' ich Blume mich erdreisten,
  Und alle andern nicken hier mir zu,
  Als wollten sie für mich die Bürgschaft leisten.
Und nun, o Mensch, was thust dagegen du?
  O der du nur, wie ruhlos du beklommen
  Dich selbst verstörst, verstörst auch uns're Ruh.
Hier eben jetzt ist Einer hergekommen,
  Geschwister, der auf uns're Reden lauscht;
  Wer weiß, ob uns zu Schaden oder Frommen?
Zwar ist er nie an uns vorbeigerauscht
  Gefühllos, sondern im Vorbeigeh'n immer
  Hat er so Blick als Wort mit uns getauscht.
Den Früchten selbst hat er den Vorzug nimmer
  Vor uns gegeben; sollten wir das schelten?
  Doch eitel spielt auch er mit unser'm Schimmer
Wir wissen es gar wohl, es hat nicht selten
  Sein Flattersinn den treuen Geist mißbraucht,
  Der wohnt in unsern farbigen Gezeltemn.
Er hat sich oft in unsern Duft getaucht,
  In uns're Farb', Empfindung auszudrücken,
  Die Morgens glomm und Abends war verraucht.
Er hat genug nicht Blumen können pflücken,
  Um mit Gewinde, Strauß und Kranzgeflecht
  Ein unbedeutend Liebeln aufzuschmücken.
Er hat der Blumen adliches Geschlecht
  Entwürdiget, ein Loblied anzustimmen,
  Wo er war einer niedern Neigung Knecht.
Wir hätten, könnten Blumen nur ergrimmen,
  Ihm längst ergrimmen sollen, tief verletzt.
  Nicht füg' er jetzt das Schlimmste zu dem Schlimmen!
Wir wissen, was für ihn fühlt Eine jetzt,
  Die ihm den Duft der reinsten Neigung spendet,
  Die Wimper von der Anmuth Thau benetzt;
Die, recht als Blume liebend, sich verschwendet,
  Und, still entschlossen, ihrer Sonn'entgegen
  Die Kraft der sprossenden Gefühle wendet.
Wir sind mit ihr, und bleiben's allerwegen;
  Wo sie auch wandle, da ist Lenzgefild
  Mit Blumen, die sich ihr zu Füßen legen.
Wenn ihm noch etwas uns're Warnung gilt,
  Wir mahnen ihn, selbst ernstlich zu ergründen,
  (O könnten wir's) wovon sein Busen schwillt;
Ob diese Funken, die ihn wohl entzünden,
  (Das seh'n wir freilich, so sind wir nicht blind)
  Auch dauerhaftes Herzensfeuer künden,
Das nicht verlodern wird im ersten Wind;
  Ob es, wie wir's an ihm gewohnt sind, ohne
  Bedeutung leicbte Gaukelspiele sind.
Dann bitten wir, daß er uns ganz verschone,
  Und mehr als uns das Herz noch, das ihm schlägt,
  Das nicht verdient, daß man mit Falsch ihm lohne.
Wir bitten, daß er ernstlich das erwägt,
  Eh' er von unsern Stengeln abgerissen
  Als Liebesboten in ihr Haus uns trägt.
Der Himmel ist von grauen Finsternissen
  Umhüllt und alle Freud' ist von uns fern,
  Da wir zum Blühen Licht und Wärme missen.
Wir halb erfror'nen Blumen stünden gern,
  Wo uns, im trauten Zimmer aufgehoben,
  Beleuchtete ein treuer Augenstern.
Ja, solche Wonnen möchten wir erproben.
  Doch eh' ein Herz durch uns betrogen sei,
  So sollen alle Winterstürme toben!
Und nehmen wollen wir für Schmeichelei
  Den Todesgruß aus ihrem rauhen Munde;
  Denn besser ist es, sterben vorwurfsfrei,
Als schuldig leben müssen eine Stunde.