Und wuchs mit der Genuss, dein Hörer nicht allein,
Dem Dichter allermeist, der gern geplagt will sein.
Wer will nun jeder Zeit bestimmen gleiches Maß,
Da jede nach Bedarf ihr eignes stets besaß?
Der Künstler aber sei gelobt, der fühlt und wägt,
Was seine Zeit von Kunst bedarf und was verträgt;
Der ihr nichts bietet, was sie nicht verträgt, nichts weigert,
Was sie bedarf, und nicht ihr falsch Bedürfniß steigert.
93.
Ein Unglück ist es wohl, daß sich auf lange nicht
Erhält in dir das hergestellte Gleichgewicht.
Doch ist es schon ein Glück, daß es nur her sich stellt
In jedem Augenblick, wenn's auch nicht lange hält.
Wem dankst du dieses Glück? dein Hauch der Poesie;
Das Unglück aber ist, daß nur ein Hauch ist sie.
94.
Ia meinem Innern ganz ist dies Gedicht vorhanden,
Das in Bruchstürken nur ist äußerlich entstanden.
In jedem Bruchstück bricht ein Stückchen Glanz hervor
Alswie vom Angesicht des Liebchens hinter'm Flor.
Denk' dir das Ganze, wenn ein Liebender du bist!
Noch schöner magst du dir es denken, als es ist.
95.
Ich liebe mir ein Lied mehr als ein Trauerspiel;
Mich freut die Lust am Weg, und nicht die Eil' an's Ziel.
Rasch drängt das Trauerspiel dich vorwärts wie die Zeit;
Den Augenblick nur macht das Lied zur Ewigkeit.
96.
Dann ist, o Dichter, dir wahrhaft die Form gelungen,
Wenn so den Leser sie durchdringt, die sich durchdrungen,
Daß er, von ihrem Maß mit Lust gewiegt, vergißt,
Daß man auch auf der Welt den Vers noch anders mißt.