Zweite Stufe 105., 106., 107., 108., 109.

Die Meinungen, ob auf ob ohne Grund sie stehn,
  Ziehn oder stoßen mich, dem kann ich nicht entgehn.
Ich frage nicht, warum, nur was und wie man's meint,
  Und wie dies Meinen dann mit meinem sich vereint.
Und dieser Meinnngsstreit ist schwerer mir zu schlichten,
  Als siegreich dir ein Heer von Gründen zu vernichten.

                         106.

Um Neujahr hattest du, wie mir dein Büchlein sagt,
  Gedanken, die mich auch um jene Zeit geplagt;
Nur mit dem Unterschied: du hast daraus ersonnen
  Ein Lehrgebäud' und ich nur Lieder draus gesponnen.
Nun aber find' ich, daß bei dir gar wirr und kraus
  Das aussieht, was bei mir sich nimmt ganz menschlich aus.
Warum? Du hast umsonst gesucht Zusammenhang
  Des Sinns, wo mir genügt des Tons Zusammenklang.

                         107.

Wie oft nicht hab' ich schon, von dunklem Drang getrieben,
  Das Gegentheil von dem, was ich gedacht, geschrieben.
Aus Ungeschicklichkeit, aus Falschheit, nicht doch! weil
  Das Denken immer sucht sein eignes Gegentheil.

                         108.

Du nimmst die Gründe nach einander einzeln vor,
  Und freust dich, wie so leicht jeder die Kraft verlor.
Doch wenn ihr ganzes Heer dir in geschlossnen Gliedern
  Entgegenrückt, was kannst du ihrem Stoß erwidern?

                         109.

Dein Geist kann nicht umhinn, aus allem, was gelungen
  Zu sehn ihm ist, sofort zu ziehn Schlußfolgerungen,
Und sie auf alles Ungesehne zu erstrecken,
  Um, wenn er dies dann sieht, den Fehlschluß zu entdecken.
Lass dich den Schluß zurück zu nehmen nicht verdrießen,
  Um, was du neu gesehn, nun auch mit einzuschließen!
Nie falsch ist, waß dein Geist sich bei den Dingen denkt;
  Es gilt nur nicht, wie du wohl meinst, uneingeschränkt.