Erster Gesang

Es war ein Fürst, mit Ruhm bekannt,
Nala, der Sohn Mirasens's genannt,
Begabt mit jeglicher Tugend,
Tapferkeit, Schönheit und Jugend;
Der ragt' in der Menschenfürsten Mitte,
Dem Götterkönige gleich an Sitte,
Überstrahlend das ganze
Land, wie die Sonn' im Glanze.
Es mocht' in allen indischen Reichen
Kein Fürst dem Helden sich vergleichen,
Der da waltet im Rischada-Land,
Weise von Sinn und stark von Hand;
Ein Freund der geistlichen Männer,
Der heiligen Schriften ein Kenner,
Weihduftopferverbrenner;
Der die eigenen Sinne bezähmte
Und die Begierden der Bösen lähmte;
Der heimliche Wunsch der Frauen,
Der Feinde Schrecken und Grauen
Und seines Volkes vertrauen;
Kundig der Kriegeswissenschaft,
Geschickt zu leiten die Heereskraft,
Stark mit dem Bogen zu zielen,
Rasch mit den Würfeln zu spielen,
Aber vor Allem wohlerfahren.
Schnell mit Rossen und Wagen zu fahren:
Er konnte sie lassen eilen
An einem Tag hundert Meilen.
Da war auch in der Widarba-Flur,
Wandelnd auf hoher Ehren Spur,
Bima, der Fürst gewaltig,
An Tugenden mannigfaltig;
Der da, Nachkommenschaft begehrend,
Lebte, Nachkommenschaft entbehrend.
Er, zu empfahn Nachkommenschaft,
That ein Gelübde von starker Kraft,
Dafür ihm die Götter gaben
Ein Mägdlein und drei Knaben.
Das Mägdlein war Damajanti genannt,
Aber die Knaben muthentbrannt
Damas, Dantas und Damana.
So wuchs nun Damajanti da
Und ward an Schönheit und Huldgeberden
Eine Wundersage auf Erden.
Sie saß, erblühend im Jugendglanz,
Umgeben von einem Gespielinnenkranz,
Die sie hielten im Schooße
Als wie die Blätter die Rose.
Da strahlete sitzend die Bimamaid,
Geschmückt mit Geschmeide, selbst ein Geschmeid',
Umrungen vom Mädchenvolke,
Wie ein Blitz in der Wolke.
Nicht im Lande der Menschen war,
Noch im Lande der Geisterschaar,
Noch im Lande der Götter gar,
So schöne, so schön umflöret,
Zuvor geseh'n noch gehöret;
Ihren Augen war es verlieh'n,
Vom Himmel die Götter herabzuzieh'n.
Aber wie sie unerreichlich,
So war Nal unvergleichlich,
Als wie ein Liebesgedanken,
Getreten in Körperschranken.
Da pries man den Fürsten hoher Art
Stet's in Damajanti's Gegenwart,
Und Damajanti, den Frauenstern,
In Gegenwart stets des Nischada-Herrn.
Da wuchs blindlings der Liebe Kraut
Zwischen Zweien, die nie sich geschaut;
Es wuchs von gestreuter Worte Samen,
Die sie eines vom andern vernahmen.
Nala, nicht mehr im Herzen
Fassend der Sehnsucht Schmerzen,
Ging heimlich hinaus und saß allein
In seines Palastes Gartenhain.
Da sah er von Gänsen einen Flug,
Der goldschimmernde Flügel trug;
In den Hain ließ sich nieder der Zug.
Einen der Fittigträger
Griff da Nala, der Jäger.
Da sprach der Lüftedurchflieger
So zu Nala, dem Krieger:
»Du sollst mich, o König, nicht tödten;
Dir helf' ich in deinen Nöthen.
In Damajanti's Gegenwart
Will ich, o Fürst, in solcher Art
Dein gedenken, daß sie kann
Denken an keinen andern Mann.«
So angesprochen der Held geschwind
Ließ die Goldgans fliegen im Wind.
Die Gänse, wie sie davongeflogen,
Kamen sie nach Widarba gezogen;
Dort ließen sie ihr Gefieder
Vor Damajanti nieder.
Wie Damajanti erblickte diese
Wundergestaltigen aus der Wiese,
Wollte sie mit den raschen
Gespielinnen gleich sie haschen;
Da begannen mit Schnattern
Sie auseinander zu flattern.
Die Mägdlein, sich zerstreuend, liefen
Hinter den Gänsen her und riefen.
Aber welchem der Vögel da
Kam Damajanti besonders nah,
Der, wie allein er die Fürstin sah,
Annahm er menschliche Töne,
Indem er ansprach die Schöne:
»Damajanti! Im Nischadathal
Ist der Landesherr König Nal,
Ein Bild aus überirdischem Reich,
Seiner Gestalt sind nicht Menschen gleich.
Er ist ein Liebesgedanke,
Getreten in Körperschranke.
Dessen Gattin wenn du wärest,
O Reizende, die du entbehrest
Keinen Schmuck als nur diesen,
So wäre dein Loos gepriesen.
Deine Schönheit und seine Zucht
Verbunden trügen gute Frucht;
Ihr seid für einander ausgesucht.
Höre, du Amnuthsittige,
Von uns, o Schwebetrittige,
Wir haben aus unserm Fittige
Uns umgesehn auf den Wiesen
Der Menschen und in Paradiesen
Der Götter, auch in Wohnungen der Riesen;
Aber wir haben nirgend geseh'n
Einen wie Nala steh'n und geh'n.
Wie du der Frauen Perl' allein,
Ist Nala der Männer Edelstein:
Wenn ihr wäret verbunden,
Nichts Schöneres wäre gefunden«
Wie der geflügelte Liebesbote
Also ansprach die Freudenrothe,
Antwortete sie liebeblaß:
»Sage nur auch dem Nala das.«
Da schwang er, der Zweigeborne,
Der erst als Ei, dann aus dem Ei Geborne,
Sich nach Nischada, lustgetragen,
Um Alles dem Nala dort anzusagen.