Mein Baum.

Ich war auf meinen Baum gestiegen
  Tief in des Waldes Mitte,
  Und wollte mich im Wipfel wiegen,
  Zu lernen Vogelsitte;
  Denn nie hat vogelgleich gesungen,
  Wer nicht der Erde sich entschwungen.
Nicht wie der Vogel kann ich fliegen,
  Doch brauch' ich nicht die Schwinge;
  Denn, ob erflogen, ob erstiegen,
  Wenn ich nur droben singe.
  Und froh sang ich herab von oben,
  Und fühlte leicht mein Herz gehoben.
Wie anders doch als in der Tiefe
  (Sang ich aus meiner Grüne)
  Nimmt in der Vogelperspective
  Sich aus des Lebens Bühne;
  Wie eitel ist der Menschen Trachten,
  Wenn wir's von solcher Höh' betrachten.
Steinmetzenfleiß ist zu bedauern,
  Der aus der Erde Gründen
  Die Felsen reißt, um aufzumauern
  Den Bau der Hochmuthsündem
  Den Thurm, der wie verzaubert starret,
  Vergebens der Erlösung harret.
Er darf sich nicht im Winde neigen,
  Noch seine Wurzeln strecken,
  Nicht jeden Frühling höher steigen
  Und grün sein Haupt bedecken;
  In ew'gem Winter eingefroren,
  Bleibt alle Luft an ihm verloren.
Und wer auf seinen First geklommen,
  Den wird der Schwindel plagen;
  Und wen sein Schooß hat aufgenommen,
  Wird als Gefangner klagen.
  Wie anders sind die freien Sassen
  Des Thurms, den Gott hat wachsen lassen.
Geschaukelt auf der laub'gen Gabel,
  Fürcht' ich nicht anzustoßen
  Am Rath des Himmels, wie's von Babel
  Geschah dem Thurm, dem großen,
  Von dem man singen hören wollte
  Die Engel, daß ihr Schöpfer grollte.
Ich darf auf meinem Gottesthurme
  Wohl ihrem Sange lauschen.
  Wie ist mir denn? hör' ich im Sturme
  Schon ihren Fittig rauschen?
  Doch als ich wollte näher spähen,
  Gewahrt' ich einen Zug von Krähen.
Zu beiden Seiten und zu Häupten
  Sie schwangen mit Ergrimmen
  Sich um mich her, und mich betäubten
  Nicht engelgleiche Stimmen.
  Sie fragen wohl, wie ich im Orden
  Der Vögel aufgenommen worden?
Doch wie sie um mich sich verflochten
  In immer dichter’m Knäule,
  Merkt' ich, daß sie mich halten mochten
  Für ihren Feind, die Eule;
  Und lachte, wie Lachtauben lachen,
  Um ihrem Wahn ein End' zu machen.
»Wer lacht denn da? in Gottes Namen!«
  »»Wer fragt denn da?«« »Der Jäger.«
  Der Jäger kam, und mit ihm kamen
  Zu Walde zwei Holzschläger
  Mit Aexten, für den Baum geschliffen,
  Auf dem ich vogelgleich gepfiffen.
  »Wie sind Sie da hinauf gekommen?
  Mein Herr!« sprach er verlegen.
  »»Weil nicht geflogen, wohl geklommen.««
  »Und, lieber Herr, weswegen?«
  Um nicht für närrisch ihm zu gelten,
  Wollt' ich mich lassen kindisch schelten.
Und sprach: »»Mein Freund, um auszunehmen
  Ein Dutzend Vogelnester««
  herunter stieg ich mit Beschämem
  Er aber sprach: »Mein Bester!
  Ich hör's an diesen lauten Schaaren,
  Daß es wohl Krähennester waren.«
»Sie haben um's gemeine Beste
  Sich so viel Müh' gegeben.
  Ich selber lass' in keinem Neste
  Die Rabenbrut am Leben;
  Sie taugt zu fressen nur und schreien
  Und Unglück uns zu prophezeien.
»Mit Staunen seh' ich, daß im Gipfel
  Sie klettern wie ein Wiesel;
  Doch blieb von Ihrem Rock ein Zipfel
  Dort oben in der Zwiesel.
  Sie brauchten hier sich nicht zu plagen,
  Weil doch der Baum wird umgeschlagen.«
Ich sprach: »Das thut mir leid von Herzen;
  So ist mein Kleid zerrissen.«
  Er sprach: »Das ist wohl zu verschmerzen,
  Wenn's nicht die Leute wissen.«
  Er sah mich an mit list'gen Mienen,
  Ich ging, und ließ ein Trinkgeld ihnen.