Die beiden Brautringe.

„Schöner Daphnis, deine Schwüre
  Mußten meinen Stolz bezwingen;
  Hier mit dem begehrten Pfande
  Will ich deine Hand beringen.
 Wann der Abend auf die Fluren
  Senkt sein duftiges Gefieder,
  Watte mein an jenem Hügel,
  Wo sich wölbt der dunkle Flieder.
„Schönste Mira, mit dem Ringe
  Giebst du mir ein halbes Leben,
  Und es wird dein Kuß am Abend
  Mir die andre Hälfte geben.
 Aber willst nicht kommen lieber
  In die blühnden Myrthenhecken
  Drunten, als zum Hügel droben,
  Wo die dunkeln Flieder schrecken?“
„Schöner Daphnis, find' ich also
  Deine vielgerühmte Liebe,
  Daß dein Ohr sogleich verschlossen
  Meinem ersten Worte bliebe?
 Wisse denn, Erhörung steiget
  Mit dem Abend dir hernieder
  Nirgend als an jenem Hügel,
  Wo dich schreckt der dunkle Flieder.
 Als die Schäferin geschieden,
  Steht er noch, und siehet lange,
  Bald mit Luft herab zum Ringe,
  Bald hinan zum Hügel bange.
 Und die Sonne gehet schweigend
  Nieder über Berg und Thale,
  Und der Schäfer wandelt sinnend
  In des Mondes blassem Strahle.
 In des Mondes blassem Strahle,
  Ohn' ein Auge zu erheben,
  Sitzet er am Hügel droben,
  Wo um ihn die Flieder weben.
 In des Mondes blossem Strahle
  Senken sich des Flieders Ranken,
  Und umhüllen zauberduftend
  Leis' und tief ihm die Gedanken.
 Aus dem Hügel, wo er sitzet,
  Richtet vor ihm eine blasse
  Grabgestalt sich auf, und stehet,
  Daß sie recht in's Aug' ihn fasse.
 Wickelt nun das Antlitz langsam
  Aus der weißen Tücher Falten,
  Rührt, zu ihm sich niederneigend,
  Seine Hand mit einer kalten.
 Rühret leise mit des Kusses
  Kaltem Odem seine Wange,
  Breitet ihre beiden Arme
  Gegen ihn wie zum Umfange.
 Aber wie sie sieht an seiner
  Hand den Ring von fremden Handen,
  Zieht sie sich zurück erschrocken,
  Hüllt sich mit den Grabgewanden.
 Rasch von ihm sich abwärts wendend,
  Haucht sie noch mit einem Ache
  So ihn an, daß tief im Busen
  Drob ergraust der träumend-wache·
 Und wie er mit schwanken Knieen
  Aufstrebt um sie zu umfahen,
  Sieht er durch die Fliederbüsche
  Mira dort, die Hirtin, nahen.
„Schöner Daphnis, bin ich lange
  Deiner Sehnsucht ausgeblieben?
  Hast mit süßen Nachtgedanken
  Dir die lange Zeit vertrieben?
 Aber, sprich, woher die Blässe
  Und dies Zittern deiner Glieder?
  Hat so sehr mit Grabesschauern
  Dich geschreckt der dunkle Flieder?“
“Schönste Mira, schwere Strafe
  Wird durch dich mir, und mit Rechte;
  Ja, es haben dich geleitet
  Dieses Orts geheime Mächte;
 Daß du mußtest her mich ziehen
  An die todtgeweihte Stätte,
  Wo mir ach! statt deiner Liebe
  Werden muß ein kältres Bette.“
„Schöner Daphnis, so ist Wahrheit,
  Die sie sagen, die Geschichte,
  Die ich selbst erproben wollte
  Mit untrüglichem Gerichte:
 Daß hier eine Braut gebettet,
  Die dich liebte treu und bieder,
  Der du oft im Schooß hier ruhtest,
  Ruht um dich im dunklen Flieder?“
 „Schönste Mira, es ist Wahrheit,
  Und der Wunsch, den ich zu hegen
  Noch vermag, ist, mich in ihren
  Treuen Schooß zurück zu legen.
 Höre meine letzten Worte:
  Während dort für mich gedecket
  Wird das Brautbett in dem dunkeln
  Flieder, der mich nicht mehr schrecket.
 Diesen Ring, der einst an deiner
  Süßen Hand mich so verblendet,
  Daß ich ihn zum Pfand begehrte,
  Da ich, ach! schon war verpfändet;
 Diesen Ring, von dem ich sagte,
  Daß er mir ein halbes Leben
  Gäbe, dessen andre Hälfte
  Mir dein Brautkuß sollte geben
 O, es nahm ein andrer Kuß
  Eben jetzt mein halbes Leben!
  Laß mich denn die andre Hälfte,
  Diesen Ring auch von mir geben.
 Nimm ihn! dort im Fliederschatten
  Seh' ich eine Hand sich strecken,
  Die an meine freigewordne
  Froh den frühern Ring will stecken.
 Wird die Hand mir stärker fassen,
  Wird mich an sich ziehen fester,
  Daß ich künftig nicht mehr flattern
  Mag zu einer andern Schwester.
 Schönste Mira, lebe wohl!
  Denn der frühern Liebe Rechte
  Fordern mich, daß ich vertauschen
  Muß dein Licht um ihre Nächte.
 Nimm den Ring! und bald, statt meiner
  Einen andern zu beglücken,
  Mög' er einen bessern oder
  Minder Unglücksel'gen schmücken.
 Oder, wenn der Ring des Todes
  Nicht darf werden Liebeskette,
  Leg' ihn morgen thaubeträufet
  Hier auf meines Grabes Stätte.