5.
Ich fange an von meiner ersten Kindheit,
So weit hinauf mir die Gedanken dämmern
In meines Muscheldaseins sel'ger Blindheit.
Umwimmelt rings von Meeres Wölf-und Lämmern,
Theils nur gewaffneten, sich zu vertheidigen,
Theils ausgerüsteten mit Kolben, Hämmern,
Mit Scheeren, Zacken und mit anderm Schneidigen,
Dazwischen manch' aus Vorsicht vielgeaugte,
Samt vielen andern dünn zur Flucht geschmeidigen,
Schwamm ich in meiner Muschel hin und saugte
Still ein das Naß in ihrer festen Schale,
Die gegen alles mich zu schirmen taugte.
Ganz ahgeschlossen von des Lichtes Strahle,
Kannt' ich den Spuk nicht draußen vor dem Hause,
Der nur mich schreckt' in Träumen manichmale,
Wie Kindlein zittern vor Gespenstergrause.
Bald schwamm ich sacht durch Schilf und Seegestäude,
Bald in des Meeres offnem Fluthenbrause.
Wenn dann um mein geschaukeltes Gebäude
Die Wellen tosten, lauscht' ich in der Kammer
Und hatt' an ihrem Plätschern meine Freude.
Wenn's stille ward, hört' ich wohl einen Hammer,
Der draußen hämmert', oder was, das pickte
Und bohrte, oder merkt' auch eine Klammer,
Die fest mein Haus hielt oder an ihm zwickte;
Doch immer wußte davon loszumachen
Sich meine Muschel wieder, die geschickte,
Und ruhig schwamm ich fort im flotten Nachen.
Da, auf des ebnen Meeres Spiegelfläche
Hingleitend, träumt' ich wohl auch andre Sachen.
Tief unter mir die unversiegten Bäche
Der Schöpfung ahnend, obenher der Sonne
Einflüsse fühlend in gedämpfter Schwäche,
Womit sie drang durch meine dunkle Tonne,
Wenn sie einmal recht hell schien, daß ich's spürte,
Wie hinterm dichten Schleier eine Nonne;
So wie der Doppelanhauch mich berührte,
Vom Nassen drunten, droben von dem Hellen,
Und feuchte Lebensgluthen in mir schürte,
Fühlt' ich mein Herz in hoher Ahnung schwellen,
Und des Bewußtseins erste Nachtentflammung
Begann mein eignes Ich mir vorzustellen.
Da dacht' ich meine himmlische Entstammung:
Ein Engel weint' um einer Schwachheit willen,
Und sinken mußt' ein Tropf' in die Verdammung.
Denn auch die Engel weinen wohl im Stillen;
Doch ihre Thränen sind der Welt zum Frommen,
Weil aus denselben solche Perlen quillen.
Die Thräne wär' im Ocean verschwommem
Wenn nicht das Meer, den edlen Ursprung kennend,
Sie hätt' in eine Muschel aufgenommen,
Den Tropfen von den andern Tropfen trennend,
Die minder edlem Quell entquollen waren,
Die Muschel so zu dessen Pfleg' ernennend:
Du sollst in deinem stillen Schooß bewahren
Den edlen Keim und, bis er sich entfaltet,
Mit ihm behutsam durch die Wasser fahren.
Und wann die Perl' in dir sich hat gestaltet,
Und wann für sie erschienen ist die Stunde,
Hervorzutrete, sollst du sein gespaltet.
Dann sei das Kind entnommen dem Vormunde,
Und frei verdienen mag sich die Entstammte
Des Himmels ihr Geschick im Erdenrunde.
Drauf hat die Muschel, die der Ruf entflammte,
Aufbietend ihre Kraft bis zum Erkranken,
Treu vorgestanden ihrem Ammenamte.
Der Muschel und dem Schicksal muß ich's danken,
Daß ich, zu meines Innern Reinerhaltung,
Ward eingeschlossen in so treue Schranken.
Der Muschel muß ich's danken, die vor Spaltung
Mein Herz beschirmend, äußern Drang abweisend,
Im Innern doch mir Raum gab zur Entfaltung.
O hätt' ich durch die offnen Fluthen kreisend
Mich schlagen müssen, nicht wär' ich geblieben
Das, was ich blieb, in meiner Muschel reisend.
Drum segn' ich sie, wo sie jetzt mag zerstieben,
In deren Hut durch die empörte Welle
Des Meers zum Hafen sicher ich getrieben.
Das Schicksal segn' ich, daß es mich die Zelle
Ließ finden, die mich so »in sturmdurchtoster
Welt, ganz vom Sturm schied und nicht ganz von Helle.
Ich hätte drinnen können in getroster
Entsagung auf die ganze Welt verzichten,
Wär' ich entführt nicht worden meinem Kloster.
Wie es dazu kam, will ich jetzt berichten.