Flor und Blankflor 1 von 6

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                               1.

Gezogen von der ungesehnen Hand
  Der Lenk'rin, deren Odem mich umwitterte,
  Gelangt' ich zu des dunklen Haines Rand,

Wo eine Aussicht sich vor mir entgitterte
  Auf eines ländlichen Gefildes Raum,
  Das in der Abendsonne Strahlen zitterte.

Da sah ich stehn vereinzelt manchen Baum,
  Doch einer war's, der mich vor andern reizte,
  Fernab nach eines Saatfelds Rasensaum;

Der so ein helles Laubdach wölbend spreizte,
  Alsob vom Himmelsaug' er jeden Strahl
  In grünen Spiegeln aufzufangen geizte.

Des Wandelganges unbestimmte Wahl
  Entschied in mir sich schnell zu seinen Gunsten,
  Und nach ihm steuert' ich durch's offne Thal.

Die Sonne loderte mit mildern Brunsten,
  Und unter des erkohrnen Baumes Dach
  Dacht' ich die Gluthen vollends auszudunsten.

Doch als ich ankam, war bereits so schwach
  Der Brand des Tags, daß ich, mich zu erfrischen
  Nicht nöthig hatte schirmendes Gemach.

Drum lagert' ich, statt unter seine Nischen,
  Mich so, daß rechts mir frei die Sonne war,
  Und links der Baum, ich selber war dazwischen.

Den Scheitel macht' ich der Bedeckung baar,
  Und beugt' in's Grün mich rückwärts mit dem Haupte,
  Von Gras beschattet und vom eignen Haar.

Da blickte seltsam rückwärts der belaubte
  Bergwald auf mich herein mit dem Rubin
  Der Sonne, den mir halb Smaragdglanz raubte.

Doch vorne war zum Augpunkt mir verliehn
  Ein Dorf, deß Kirchthurm noch im Licht sich freute,
  Da es im Rauche schon verschwomnen schien;

Und nebenan ein Weiher, wo sich scheute
  Recht laut zu werden noch der Frösche Chor,
  Als wartet' er bis man im Dorf erst läute,

Und stimmt' einstweilen leise sich im Rohr.
  Doch von der andern Seit' herüber schaute
  Vom busch'gen Hügel eine Burg hervor,

Die abgewandt vom Blick des Abends graute,
  Und nicht den Tag in's Angedenken rief,
  Der jetzt schwand, sondern den, als man sie baute.

Da senkt' in’s Gras mein Haupt sich zwiefach tief,
  Um aufzuschaun zum Himmel und zu lesen
  Vergangne Zeit in seinem blauen Brief.

Indeß ich all das Schöne, das gewesen,
  Dort in verschlungnen Wolkenzügen las,
  Bemerkt' ich kaum, wie neben mir sein Wesen

Trieb emsiges Ameisenvolk im Gras,
  Das kleine Körnlein sammelte mit Knistern;
  Nicht achtet' es auf mich, noch ich auf das.

Doch itzund hört' ich neben mir ein Flüstern,
  Das leise wechselnd hin und wieder ging,
  Gleichwie ein Mährlein zwischen zwei Geschwistern.

Still lauscht' ich auf, und sah um mich kein Ding,
  Von dem die Reden, die ich hörte, kämen,
  Von welchen eine an zu fragen fing:

Wie wär' es, Schwester wenn wir unternähmen,
  Und uns erzählten, was ein jedes weiß?
  Wir brauchen uns vor Horchern nicht zu schämen.

Ein andres Stimmlein sprach darauf: So sei's.
  Warum soll nur allein auf hoher Alme
  Die Riesin Fichte rauschen Gottes Preis,

Und an den Flüssen Asiens die Palme?
  Wenn etwas Schönes, nur mit Unterschied,
  Sich auch erzählen können wohl zwei Halme.

Die Wechselrede schwieg und ich errieth
  Im Ganzen jetzt, wem sie müßt' angehören,
  Nur daß ich nicht die Sprecher unterschied,

Denn ganz viel Halme standen rings in Chören.
  Ich sprach in mich hinein mit leisem Wort,
  um nicht die sich besinnenden zu stören:

Doch wissen möcht' ich, was die Kleinen dort
  Zu sagen haben, die der Staub geboren?
  Da hub das Reden wieder an sofort.

Die eine Stimme sprach: Ist dir zu Ohren
  Die Kunde je gekommen, Schwesterlein,
  Aus alter Zeit von Flor und von Blankfloren?

Antwortend sprach die andre Stimme: Nein!
  Die erste drauf: So will ich dir erzählen,
  So viel ich weiß; nur horche du mir fein,

Daß nicht die Lüfte, die sich gern verhehlen,
  Wo Gräser flüstern, meiner Stimme Klang,
  Eh' er zu dir kommt, unterwegs dir stehlen.

Da hielt ich an den Odem, davor bang,
  Den Sprechenden möcht' er zu stürmisch weben,
  Und stören ihrer Unterredung Gang.

Da fing die eine an, Bericht zu geben:
  O, was ist alles ausgewandert schon
  Von diesem Boden, an dem wir noch kleben.

O wie viel Wunderblumen sind entflohn,
  Die. hier einst standen und an deren Stelle
  Jetzt Gräser stehn, auf die, man tritt mit Hohn.

In jener Zeit war Blum' und Mensch Geselle,
  Und eines stand dem andern liebend bei:
  Nährt Blum' und Mensch sich doch aus einer Quelle!

Sie thaten sich zu Liebe mancherlei,
  Und die Geschichte zeigt's, die ich beginne,
  Was Blumenlieb' im Stand zu leisten sei.

Denn Flor und Blankflor wurden dieses inne.
  Die beiden waren selber Blumen nur,
  Erblüht auf eines Königsschlosses Zinne;

Und Liebe wob aus Blumen von der Flur
  Ein festes Band, das so umschlang die beiden,
  Daß nicht mit ihrem Tode riß die Schnur.

Es saß die Königin im Land der Heiden,
  Und eine Christengräfin saß bei ihr,
  Und beide nähten ein Gewand aus Seiden,

Darein sie wirkten bunte Blumenzier
  Die Königin aus lauter hellen Faden,
  Die Gräfin aber nahm nur blassen schier.

Zur Gräfin sprach die Königin mit Gnaden:
  Ich sehe dich die Blumen, die du hast
  Gestickt mit Händen, stets mit Augen baden.

Was drückt dein Herz für ungesehne Last?
  Das sage mir mit Worten, statt mit Zähren,
  Wenn solches Reden dir nicht ist verhaßt.

Die Gräfin sprach: Ich soll ein Kind gebähren,
  Und todt ist der Gemahl, für den ich's trug,
  Und Sclavin bin ich selbst, die es soll nähren.

Das weißt du selber, Königin, genug,
  Weil du mich so empfingst aus Händen deines
  Gemahls, der meinen jüngst im Krieg erschlug.

Die Kön'gin sprach: Das weiß ich und bewein' es;
  Doch sage, wann du haben wirst dein Kind?
  Sie sprach: Zur Zeit des nächsten Frühlingsscheines;

Zu Ostern, wann die Au'n voll Blumen sind.
  Die Kön'gin drauf: Auch mir schläft eins im Herzen,
  Das wiegen soll derselbe Frühlingswind.

Die Gräfin Mein's ist nur ein Keim der Schmerzen,
  Der auf wird gehn zum Weh; dein's ist ein Sproß
  Des Glücks, dem leuchten werden Freudenkerzen.

Die Königin: Zwei Blumen sind es bloß,
  Ob nun mit bitterm oder süßem Seime
  Der Himmel einst zu tränken sie beschloß.

So sprachen sie, und saßen still daheime.
  Und als der Lenz um Ostern ward erweckt,
  Erwachten auf den Fluren alle Keime,

Die seit dem Herbste lagen dort versteckt;
  Und auch die beiden edlen Keim' erwachten,
  Die zweier Mütter Schooß noch hielt bedeckt.

Als nun die zwei ans Licht zwei Kinder brachten,
  Da war es wie ein Wunder anzusehn,
  Denn beide waren Blumen gleich zu achten.

Schwer war's zu unterscheiden die und den.
  Geboren war der Königin ein Knabe,
  Ein Mägdlein aber aus der Gräfin Wehn.

Die Gräfin sah ihr Kind, und ging zu Grabe,
  Zum Leben aber ging die Königin
  Sie nahm auf ihren Arm die Doppelgabe,

Und trug sie gleich zu, ihrem König hin.
  Der König aber rief mit lautem Schalle:
  Nun sprecht ihr alle, deren Fürst ich bin,

Mit welchem Namen, der mir wohlgefalle,
  Soll man die Kinder nennen nach der Zeit
  Der Blüthen, die sie bracht' in unsre Halle?

Da sprachen, die es hörten, ohne Streit:
  Der Junker, Herr, muß heißen Flor mit Namen
  Und Blankflor muß geheißen sein die Maid;

Weil sie wie Blumen unter Blumen kamen.
  Denn Flor bedeutet Blum' und Blankflor ja
  Weißblume wie bekannt ist Herrn und Damen.

Und also hießen sie nun fern und nah;
  Und Niemand wagte Lügen wohl zu strafen
  Den Namen beider, wer die beiden sah.

Wenn man sie an der Amme Brust sah schlafen,
  Und sie für einen Strauß von Blumen hielt,
  Erkannte man, wie sehr die Namen trafen.

Sie haben unter Blumen drauf gespielt,
  Und eines immer nach des andern Mienen,
  Als nach den schönsten Blumen, hingeschielt

Und alle Blumen, wo die zwei erschienen,
  Versammelten um sie gehorsam sich,
  Und schienen nur bestellt, sie zu bedienen.

Ein Heer von Blumen wars, das nie entwich,
  Das stand auf ihren Wangen, sie zu hüten;
  Ein andres, das um ihre Lippen schlich,

Und lächelte. Wer glaubt' es? Es bemühten
  Selbsts Blüthen sich in ihren Mund hinab,
  Um draus hervorzugehn als Redeblüthen.

Alswie mit unsiehtbarem Zauberstab
  Berührend, wandelten zu Blumenschaaren
  Sie alles, was sich naht' und sie umgab.

Sie selber waren Blüth' an Aug' und Haaren,
  Und Blüthe war, was sie geträumt, gedacht,
  Blüth' alles, was sie hatten, was sie waren.