Die Leidglocke.

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Der alte König ruht in seinem Schlafgemache,
  Doch wenig Ruh' und Schlaf läßt ihm fürs Recht die Wache;
Denn wenig hilft es, daß ein Fürst Gesetze macht,
  Wenn er nicht auch darob, daß man sie halte, wacht.
Wie selten dringet ein zum Freudenaufenthalt
  Der Könige die Klag' um Unrecht und Gewalt!
Er aber hat gemacht an seine Ruhestelle
  Von außen eine Schnur, von innen eine Schelle,
Und hat bekannt gemacht, wer Leid und Druck erfuhr,
  Daß der nur kommen soll und ziehen dort die Schnur.
Und wenn der König hört vor seinem Ohre läuten
  Die Schelle, wacht er auf, und weiß den Laut zu deuten.
Dann stillt er eine Klag' und stellt ein Uebel ab,
  Und gibt ein Heil dem Land, das ihm der Himmel gab.
Und jeden Uebelstand hat er schon abgestellt,
  Und eine Weile hat die Glocke nicht geschellt.
Da schlägt ihm an das Ohr ein plötzliches Geläute,
  Als einer kurzen Ruh' er eben sich erfreute.
Wer ist der Mensch, der so unmenschlich läutet an?
  Und als man nachgesehn, ein Esel hat's gethan.
Ein armer Esel, wundgedrückt an Bug und Nacken,
  Geschunden und zerfleischt an Vor- und Hinterbacken,
Sein Zustand sagt es laut, er braucht es nicht zu klagen,
  Daß ihm ward aufgelegt mehr, als er konnte tragen
Der König heißt das Thier mit guter Pflege heilen,
  Zugleich ein allgemein Gesetz dem Land ertheilen:
Daß Niemand seinem Vieh hinfort zuviel soll thun,
  Damit doch auch einmal der König könne ruhn,
Weil er so lange kann nicht ruhn mit Wohlbehagen,
  Wenn Menschen zwar nicht mehr, doch noch die Thiere klagen.