Gleiches Gewicht und Gleichgewicht.

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                        1.
An allen Dingen lern' verstehn ihr Gleichgewicht;
  Doch wie es jener Koch verstand, versteh' es nicht.
Der hatte hocherstaunt gehöret einen Weisen
  Die hohe Wichtigkeit des Gleichgewichtes preisen,
Das Sonn' un Erdenscheib' erhalt' in ihren Gleisen,
  Alswie den Menschenleib das Gleichgewicht der Speisen.
Da schwebten ihm vor'm Sinn die ziehenden Gewichte,
  Und seine Kunst erschien ihm ganz in neuem Lichte
Und als den nächsten Brei er macht' am nächsten Tage,
  Nahm er dazu herbei vor allen eine Wage.
Er wußte, daß ein Brei besteh' aus dreierlei,
  Aus Mehl und Milch dazu und etwas Salz dabei.
Da wog er alle drei Ingredienzen gleich,
  Und meinte, daß der Brei gerathen wunderreich.
Versalzen war der Brei, er glaubte doch, es sei
  Nicht möglich, weil nicht mehr war Salz als Mehl dabei
Er schmeckt' es wohl im Mund, doch merkt'er nicht den Grund,
  Warum ein Quintchen Salz wieg' auf vom Mehl ein Pfund.

                       2.

Was ich zum Seelenschmaus, o Sohn, dir aufgetischt,
  Nicht gleich gut ist es, doch nichts Schlechtes beigemischt.
Auch doppelt aus Versehn ward eines aufgetragen;
  Doch einmal ist es da, ich will's nicht unterschlagen.
Ein Küchenjunge war, der hatte viele Wochen,
  Nur wenig fehlt' am Jahr, dem Koche helfen kochen.
Und immer kam ihm noch die Einsicht nicht zur Reise,
  Wie alles Meister Koch so meisterlich angreife.
Er sprach: So lange schon dien' ich dir treubeflissen;
  Laß endlich deinen Sohn dein Kunstgeheimniß wissen.
Der schlaue Meister spricht: Kurz ist der Unterricht;
  Ein einziges ist noth: das rechte Gleichgewicht.
Das Gleichgewirht erhält den Himmel und die Welt,
  Wie es des Menschen Leib und Leben auch erhält.
Der Leib, er könnte nicht verrichten sein Geschäfte,
 Wo nicht das Gleichgewicht der Säfte wär' und Kräfte.
Ist ohne Gleichgewicht bereitet ein Gericht,
  Unfehlbar störet es des Leibes Gleichgewicht.
Doch ist es richtig nur im Gleichgewicht gemischet,
  So hat es die Natur gestattet und erfrischet.
Drum, was du machst, es sei als erstes und zuletzt
  Nur Gleichgewicht dabei, so ist es wohlgesetzt.
Der Küchenjunge läßt sich das nicht zweimal sagen,
  Er hofft zum nächsten Fest den Preis davonzutragen.
Er hat sieh ausgedacht zu liefern einen Kuchen,
  Und will daran mit Macht das Gleichgewicht versuchen.
Die Wage nimmt er, und, daß hier und dort nichts fehle,
  Wiegt er vom Salz ein Pfund zu jedem Pfund vom Mehle.
Entstand ein Kuchen nicht von rechtem Gleichgewicht?
  Er ist gerathen, doch zu essen ist er nicht.
Des Jüngers Einfalt hat betrogen ihn, betrogen
  hat ihn des Meisters Rath, er hat zu gleich gewogen.
Gleiches Gewicht ist fehl, nur Gleichgewicht ist noth;
  Ein ganzes Pfund von Mehl wiegt auf vom Salz ein Loth.