Kabil und Habil

(d. i. Kain und Abel).

  Friedlich lebten ohne Fehden
Mensch und Thier im Garten Eden.
Als sie waren d'raus vertrieben,
War die Eintracht noch geblieben;
Der Verbannung Noth und Plagen
Half das Thier dem Menschen tragen.
Schafe gaben ihre Wolle,
Daß er nackt nicht frieren solle,
Und das Rind geduldig trug
Für sein Brod das Joch im Pflug.
Doch das Leid kam bald genug.
Als mit Bruder Bruder grollte,
Kabil Habil morden wollte;
Blieb vom Grimm hier angeschürt,
Nicht die Thierwelt unberührt;
Doch der Rabe,
Sagt man, habe
Es, der erste, vorgespürt.
Er, vom bösen Geist gemahnt,
Hat des Menschen That geahnt,
Und den Weg ihm vorgebahnt.
Rabe, sagt die heil'ge Fabel,
Forderte den Bruder Raben
Zum Zweikampf auf Krall und Schnabel,
Wo die beiden Menschenknaben,
Habil, Kabil, Achtung gaben;
Und als er des Bruders Schlaf
Mit der scharfen Waffe traf,
Sank er hin in Todesschlaf.
Habil sah, und wußte nicht
In der Unschuld, was er sahe;
Kabil aber fand ein Licht,
Wie er seinen Bruder sahe.
Nimmer hätt' er es erdacht,
Hätt' es ihm nicht vorgemacht
Rabe, der darum verflucht
Sei, daß er ein Herz versucht,
Und den Mord zu Welt gebracht.
Aber als er war vollbracht,
Schmeckte bitter ihm die Frucht,
Die er hatte süß gedacht;
Er begann den Tod zu schmecken
In des Bruders Tod mit Schrecken.
Mit der Reue grins't die Sünde
So ihn an, daß in die Schlünde
Er des Abgrunds, in die Gründe
Möchte sich des Meers verstecken,
Sich dem Anblick zu verdecken.
Doch die Sünde zu begraben
Lernt' er auch von jenem Raben,
Der nicht lange still verharrte,
Sondern frisch im Boden scharrte,
Und in's Loch den Bruder grub,
Munter dann hinweg sich hub.
Kabil bracht' auch Habiln unter,
Doch hinweg ging er nicht munter,
Unstet ohne Rast und Ruh'.
»Mörder, Brudermörder du !«
Riesen Berg und Thal ihm zu.
Nicht nur Habil's fromme Heerde,
Auch das Wild rings auf der Erde
Floh die mildere Geberde
Kabil's, fürchtend, daß Gefärde
Seine Näh' ihm bringen werde.
Seitdem mag das Thier nicht wohnen
Bei dem Menschen, denn es spricht:
»Seinen Bruder schont er nicht,
Wie denn sollt' er uns Verschonen«