19.
Den heil'gen Weda willst du lesen mit Ersprießen?
So jeder Störung mußt den Zugang du verschießen:
An einem reinen Ort sollst du den Sitz aufschlagen,
Wo fromme Blumen blühn und stille Bäume ragen;
Wo klare Wasser gehn, doch die nicht wallend brausen,
Wo frische Lüfte wehn, doch die nicht stürmend sausen.
Kein greller Vogelschall, kein thierisches Gestöhne,
Kein lauter Widerhall, kein menschliches Getöne;
Solang du lesest, sei die Luft im Gleichgewicht;
Hör' auf zu lesen gleich, sobald der Donner spricht,
Sobald der Regen rauscht, sobald der Sturm sich regt,
Sobald das Licht, bei dem du wachst, der Wind bewegt.
Nur wo des Flämmchens unbewegte Spitze brennt,
Da ist der Anadacht, der Vertiefung Element.
Vom feuchten Dochte kehrt der Lichtblick sich nach oben;
So fühlt sich das Gemüth dem Irdischen enthoben.
Doch wo Natur für's Ohr laut Gottes Lob anstimmt,
Da schweigt der Geist der Schrift, den nur der Geist vernimmt.
20.
Im heil'gen Weda hat sein Wort Gott offenbart;
Doch sein Verständniß nun, wo ist es aufbewahrt?
Im Weda selber, der, in sich verständlich klar,
Zureichend sich aus sich erkläret immerdar.
Wohl so von Ursprung klar ist Gottes Wort entfaltet,
Allein die Sprach, in der es spricht, ist nun veraltet.
Du, um sie zu verstehn, must erst sie übertragen;
Und ob den rechten Sinn du trafst, wer kann dir’s sagen ?
So scheint das heil'ge Wort zu rechten Sinns Erbeutung
Zu fordern fort und fort ein heil'ges Amt der Deutung.
Wer aber kann und darf nun führen dieses Amt,
Daß irdisch nicht entweiht sei, was vom Himmel stammt?
Zu Richtern wirft sich auf der Schriftgelehrten Zunft;
Doch wir empfehlen dir Schiedsrichterin Vernunft.
Und wer unfähig mit Vernunft ist zu vernehmen,
Mag unvernünftiger Auslegung sich bequemen.