85.
Es ist nur Eitelkeit, wenn du dir vorgenommen,
Mein Freund, daß, was du schreibst, sei alles ganz vollkommen.
Die leichte Täudelei ist nicht der Mühe Werth,
Und minder noch die Welt, die solchen Schmuck begehrt.
Sag' ihr, der Welt, eh' sie Vollkommnenheit verlange
Von uns, daß sie erst selbst Vollkommenheit erlange!
86.
Du klagst, unmöglich sei für's Volk zu dichten heut.
Wann aber hat des Volks die Dichtkunst sich erfreut?
Selbst in der schönsten Zeit der Kunst ward dargeboten
Doch ihre Gabe nur Heiterkeit, nicht Heloten.
Nun sind verschmolzenzwar Heloten und Hellenen,
Doch immer weiht die Kunst nur diesen sich, nicht jenen.
87.
Geflüchtet ist die Kunst zur irdischen Geschichte,
Weil ihr das Ideal des Himmels ward zunichte.
Vor'm Chaos der Geschicht' empfände sie ein Grauen,
Wenn jenes Ideal sie könnte neu erbauen.
88.
Dem Dichter ist das Weib die liebste Richterin,
Besonders wenn sie selbst ist keine Dichterin.
Doch sei sie Dicht'rin auch, wenn sie Gefühl nur singt
Gemäßigtes, das rein aus ihrer Brust entspringt.
Noch widriger als die den Schlei'r der Zucht zerreißt,
Ist die ausschweifender Empfindung sich befleißt.
89.
Die Kürze lieb' ich sehr, der Rede Bündigkeit,
Wodurch ein Dichtermund zeigt seine Mündigkeit.
Vielwortigkeit ist's, die den Schüler nur verklagt,
Daß er das eine Wort nicht traf, das Alles sagt.