Ihn selber hat Natur als Kunstwerk ausgestellt,
Ihm Kunstwertbildungstrieb lebendig eingesellt.
Und was durch diesen Trieb die Kunst hervorgebracht,
Ist mittelbar, Natur, ein Werk nur deiner Macht.
Was rühmet sich der Mensch, daß er dein Werkzeug ist,
Wo du Werkmeisterin, Werkstoff und Werkstatt bist!
104.
Was Menschenkunst gemacht, darf man zu nah nicht sehn,
Nicht vor'm Vergrößrungsglas kann es die Probe stehn.
Des Malers schönstes Bild, des Dichters schönstes Wort,
Zergliedr' es und zerleg's, so ist der Zauber fort.
Was Gottes Kunst gemacht, erscheint nach vorgenommner
Zergliederung, wenn auch nicht schöner, doch vollkommner.
Nicht schöner, weil sich nur auf unsern Sinn bezieht
Die Schönheit, und zugleich mit dessen Täuschung flieht.
Vollkommner aber, weil der Geist viel mehr darin
Entdecket, als vermag zu fassen Menschensinn.
105.
Jemehr die Liebe giebt, jemehr empfängt sie wieder;
Darum versiegen nie des echten Dichters Lieder.
Wie sich der Erdschooß nie erschöpft an Lust und Glück;
Denn alles, was er giebt, fließt auch in ihn zurück.
106.
Was deine Seele denkt, was dein Gemüth empfindet,
Wenn nun das rechte Wort dazu die Sprache findet;
Wie schwankend ist das Wort, wie schillerig vieldeutig
Und eben dadurch auch wie reich und vielausbeutig!
Das allereinfachste, in welchem nur Ein Sinn
Liegen zu können scheint, vielfachster liegt darin.
Das merkest du zumeist, wenn du dir zum Ergötzen
In deine Sprache willst aus fremder übersetzen.