»Dir scheinet heute dies, und jenes scheint dir morgen;
Das Wahre, wie es scheint, bleibt immer dir verborgen.«
O nein, bald seh' ich den, bald seh ich jenen Glanz;
Das vielgetheilte Licht wird nur im Wechsel ganz.
40.
Von so viel Lehrern scheint mir jeder Recht zu haben;
Als Manne geht es Dir, wie es mir ging als Knaben.
Dort war ich Schal' und Kern zu fordern nicht im Stande,
Nun uuterseheid' ich gern die Wahrheit vom Gewande.
41.
Gar Mancher hätte Recht, wenn man ihn recht verstünde;
Und man verständ' ihn, wenn das rechte Wort er fände.
Wir aber wollen, statt beim Wort ihn streng zu fassen,
Nachsehn, was Gutes sich dabei mag denken lassen.
42.
Oft dient ein Irrthum nur den andern wegzuräumen;
Wir sehn der Wahrheit Spur, wo mag sie selber säumen?
Ein neues Vorurtheil muß uns von alten heilen;
Wer aber macht uns heil von neuen Vorurtheilen?
43.
Ein Doppelbündelein hat jeder Mann empfangen,
Das er halb vorn herab und halb läßt hinten hangen.
Die Fehler trägt er vorn, die seinen Nächsten schmücken,
Doch seine eigenen sind schwer auf seinem Rücken.
So sieht er immer die der andern, seine nie;
Allein es gleicht sich aus: die andern sehen sie.
44.
Hast du den Wunsch erreicht, daß er nicht mehr entweicht,
O jauchze nicht! ein Weh lauscht hinter ihm vielleicht.
Denn siehst Du? sticht der Dorn des Knaben Finger nicht
Gerad im Augenblick, wo er die Rose bricht?