Zweite Stufe 71., 72., 73., 74.

Und nie vergessen, wann sie sich zu höhern Stufen
  Erhoben, was mit Fleiß sie auf der niedern schufen:
So du auch, wenn du scheinst neuschaffend zu zerstören
  Geschaffnes, fühlst es doch dir ewig angehören.
Nur als du drinnen warst, war drin dein Thun befangen,
  Nun erst herausgelangt, siehst du es unbefangen.
Du siehst, daß mit im Strom zählt jede Einzelwelle,
  Und auch das Größte gönnt dem kleinsten seine Stelle.
Nicht missen möchtest du auch das, was du verfehltest,
  Wenn es dir half dazu, daß du ein Bessres wähltest.

                          72.

Sonst hat ein hoher Wahn, ein Glaube mich gehoben:
  Ich müße leben, weil ich viel noch müß’ erproben;
Ich müße leben, weil ich viel noch müße schaffen;
  Nun will der hohe Wahn, der Glaube, mir erschlaffen.
Ich fühle, daß geprobt, geschaffen ist genug;
  Und unterbleiben kann, was übrig ist, mit Fug.
Nun kann, statt der, die brach, mich nur die Stütze halten
  Gott, der gewaltet hat solang, mag ferner walten!

                          73.

Was. sucht der Geist? das was als Widerspruch betiteln
  Die Sinne, suchet er ergänzeud zu ermitteln.
Des Menschen Höchstes ist des Streitenden Verbindung,
  Mit der Erkenntniß Frucht die Blüthe der Empfindung.
Als hohes Vorbild sei der Baum dir eingeprägt,
  Der hier im Garten Frucht zugleich und Blüthe trägt.

                          74.

Was ist bei diesem Spiel des Lebens zu gewinnen?
  Wer's nicht verlieren will, der sollt' es nicht beginnen.
Denn zum Verlieren nur ist ein Gewinn der Lust,
  Und zu gewinnen ist nichts sicher als Verlust.
Dich schmerzt, was du verlorst, dich, was du nicht gewannst,
  Am meisten schmerzt dich, was du noch verlieren kannst.
Und alles hast du, wenn du hast den Muth gewonnen,
  Es auszuspielen, weil es einmal ist begonnen.