114.
Woher nimmst du den Muth, von neuem vorzutragen,
Was längst schon besser ward gesagt in alten Tagen?
Weil alles alte neu und immer neu muß werden,
So trägt die Dichtung auch stets ihrer Zeit Geberden.
Verwandeln muß sie sich, beharren kann sie nimmer;
Nicht besser wird sie stets, zuweilen wird sie schlimmer.
Ein angestammtes Recht hat jedes Zeitgeschlecht,
Der Zeiten Weisheit sich zu machen mundgerecht.
Und Jeder hat dies Recht für sich auch und sein Haus;
Und er macht es nicht schlecht, wenn er damit kommt aus.
Nur hat er nicht das Recht, es andern anfzudringen,
Sein eigen Hausgemächt auch auf den Markt zu bringen.
Bring' ich das Meine doch, so bild' ich wohl mir ein,
Es sei für andre noch, und nicht für mich allein.
115.
Was ungelesen ich zu lassen mir erlaube?
Ein Büchlein, das mir will beweisen, was ich glaube.
Wie sollt' ich, was ich glanb' erst mir beweisen lassen?
Derweilen kann ich mich mit Nützlicherm befassen.
Ich denke, solches Buch ist nicht für mich geschrieben,
Es ist nur andre, die bis jetzt ungläubig blieben.
Allein auch diese wird es nicht zum Glauben treiben;
Drum ohne Schaden konnt' es uugeschrieben bleiben.
116.
Es ist nicht immer noth, (der Meister hat's gesprochen)
Daß Wahres werd' ein Leib, ein Leib mit Fleisch und Knochen.
Wenn geistig in der Lust es schwebt, genügt es schon,
Wie Herzen stimmend, sanft und ernst, ein Glockenton.
117.
Der Bücher sind zu viel, um noch so viel zu gelten;
Denn wohlfeil ist die Meng', und theuer nur was selten.
Mit ihnen ist's, wie mit den Menschen selbst gethan;
Den, der mit vielen lebt, gehn wenig näher an.