Zweite Stufe 130., 131., 132., 133., 134.

Nicht dies' und jene Sprach' entzückt, erfreuet mich;
  Was mich erfreut, entzückt, das ist die Sprach' an sich:
Daß eine Sprach' es giebt, die, was du fühlst und denkest,
  Dir deutlich macht, je mehr du dich in sie versenkest;
Daß eine Sprach' es giebt, kraft deren du verkündest
  Der Welt geheimen Sinn, so weit du sie ergründest:
Drum ist die schönste Sprach' und beste, die du nennst
  Die Muttersprache, weil du sie am besten kennst.

                         131.

Wie kommt es, da du doch gern hörst das Wasser rauschen,
  Die Lüfte flüstern und die Zweige Grüße tauschen;
Wie kommt es, da du gern die unverstandnen Lieder
  Des Vogels hörst, daß dir ist dieses Lied zuwider?
Ist kein Verstand darin, betracht' als Klang es nur,
  Und nimm es eben auch als Stimme der Natur.
Gern hör' ich die Natur in allen Stimmen reden,
  Und fühle jeden Ton, versteh' ich auch nicht jeden.
Doch das ist eine Pein, was klingt wie Vögelein,
  Fluth, Luft und Zweig, und will doch Menscheusprache sein.

                         132.

Das Allgemeine zum Besondern zu gestalten,
  Zum Allgemeinen auch Besondres zu entfalten;
Das ist die Kunst, dein Ich weltgültig auszuprägen,
  Und den Gehalt der Welt dir richtig zuzuwägen.

                         133.

Wenn du ergreifen kannst des Augenblickes Stimmung,
  Die Wogen des Gefühls anhalten in der Schwimmung,
Und über alles, was dich regt und übermannt,
  Das zauberkräft'ge Wort aussprechen, das es bannt;
Das magst du frohbewußt den Augenblick entlassen,
  Beglückt, in Schmerz und Lust dich selber zu erfassen.

                         134.

In bessern Zeiten war die Poesie im Frieden
  Mit Prosa, weil Gebiet war von Gebiet geschieden.